Hexhex: Harz 2021: Die Hölle sind Hexen

Wer wenig hat, muss aus allem was machen. So denken die Menschen in Thale und setzen voll auf die Mythenkarte. Die sticht auch die Wandervögel, die ihre Gurke inmitten einer Industriebrache parken und sich durch Peter‘s (sic) Freizeitwelt-Imperium kämpfen. Brav widerstehen sie dabei allerlei kulinarischer Versuchungen, die ihnen die bis dahin unbekannte Pfifferlingszeit mit sich bringt. Vorbei an Seniorenwohnpark und Klettergarten wird das Trio in der menschenleeren Schalterhalle der Kabinenbahn vorstellig. Auf geht es zum Hexentanzplatz, wo – so dass vollmundige Versprechen der hiesigen Marketing-Blitzbirnen – im Harz der Teufel los ist.

Der Hexentanzplatz zeigt sich den Unvorbereiteten weniger als Platz, denn vielmehr als weitläufiges Erlebnis-Areal, in dem es nichts ohne Hexen gibt: Ein Hexenparkplatz, Hexengolf und ein auf dem Kopf stehendes Hexenhaus. Das Arrangement aus Homunkulus, Pimmel-Teufel und Arsch-Hexe. Hexenpommes, Hexenburger und Hexennippes – ein unsäglicher Karneval als befände man sich am Königssee. So umzirkeln die Wandervögel das Areal und werfen Blicke in den Wald, der auf andere eine hypnotische Wirkung ausübt. So bittet eine Vettel die Wandervögel freundlich aber bestimmt, die Unterhaltung mit dem Wanderküken einzustellen, denn diese würde nicht zu der Tonspur des Videos passen, dass sie mit ihrer Kompaktkamera aufzunehmen gedenke. Waldvideos: Momente für die Ewigkeit.

So gondeln die Unerwünschten gen Tale und widerstehen angesichts der Retraumatisierung der Versuchung, einen Besuch in das DDR-Museum zu unternehmen, zu dem ein schwarz-rot-golden lackierter Trabant am Wegesrand einlädt. Sie kehren Thale den Rücken und nehmen Kurs auf ein Wunderwerk der Ingenieurskunst, Titan RT. Hinter dem martialisch-nichtssagenden Namen verbirgt sich eine lange Hängebrücke, die die Wandervögel zu inspizieren planen. Der Parkplatz lädt zu einem Wechselbad der Gefühle. Während die hoch-moderne Parkraumüberwachung unter Angabe des Nummernschilds begrüßt, verlangt die Klofrau von der bedürftigen Wandervögelin einen sportlichen Euro für die Benutzung der Bedürfnisanstalt. Begründung: Es würde ja auch gereinigt. Was für eine Schwarzgeldquelle.

Die Titanbrücke begrüßt die Wandervögel mit Furchtbarkeit. Aus den Lautsprechern entlang des Geländers plärrt „I promised myself“ gefolgt von „My heart will go on“. Den eigentlich Todesmutigen schlackern die Knie. Doch wer bezahlt hat, dreht nicht um. So geht es die Aussicht genießend flott über die Talsperre der Rappbode, begleitet von den Schreien vereinzelter Wagemutiger, die das angeschlossene Bungee- und Ziplining-Angebot nutzen. Der Heimfahrt in das Schuhkarton-Appartement entgegen steht der linke Außenspiegel des Wandervogel-Mobils: Kurzerhand beschließt dessen Scheibe, nichts mehr mit der Halterung zu tun haben zu wollen. Der Blitzreflex der Reiseleitung reicht aus, sie vor dem Splittertod zu bewahren. Pattex sei Dank, bleiben die Verfolger im Blick.

Hexhex. Harz 2021: Luchslos

Die erste Nacht in der winzigen und auf das Heftigste überdekorierten Ferienwohnung endet früh, denn das Wanderküken macht röchelnd auf seinen ersten Schnupfen aufmerksam. Überdies hinterließ das Nachtlager aus durchgefurzter Federkernmatraze mit Memoryfoam-Topper bei den Futongestählten verspannende bis verstörende Eindrücke. Bei der Morgentoilette entdeckt Wandervogel 2 eine architektonische Eigenart der Butze: Der tiefste Punkt des Waschraums liegt keinesfalls – wie erwartet – innerhalb der ebenerdigen Dusche, sondern knapp einen Meter davor. Wildes, unkoordiniertes Feudeln mit einem Waschlappen ist die Konsequenz.

Mit viel zu starkem Kaffee und Fischbrötchen setzen die Wandervögel ein klares Zeichen in Richtung Schluss mit Lustig und brechen in Richtung Bad Harzburg auf. Den Ortskern lassen die Reisenden geflissentlich hinter sich, um direkt den ortsrandigen Baumwipfelpfad anzusteuern. Eine unaufgeregte Stahlkonstruktion mit überschaubarer Steigung führt zu einer Aussichtsplattform, die den Blick freigibt auf eine Hotelbaustelle im Bergwald. Wohlfürchtend, dass empörte Kundschaft angesichts dieser antiklimatischen Attraktion ihr Geld zurückfordern könnte, klittern die Betreiber den Bildungspfad mit Infotafeln zur Erdgeschichte. Diorama mit Schleich-Dinos inklusive. Kann man sich nicht ausdenken, muss man nicht gesehen haben.

So geht es dann ab in die nadelwäldliche Botanik zum sagenumwobenen Luchsgehege. Extra für die Wandervögel wurde nicht nur die Fütterung der scheuen Wildtiere ersatzlos gestrichen, sondern auch die Tiere kurzerhand versteckt. So kehren die Wandervögel in der Bergschänke zur Rabenklippe ein und platzieren sich zwischen lederhäutigen Rentnerinnen, die ihre Zigaretten in der Sonne genießen und sonnenverbrannten Gästen, die einander von ihren prägendsten Lebensereignissen berichten. („Auch mit Käse. Ich sag’s Dir: Einwandfrei. Gibt es auch im Internet. Windbeutelkoenig.de. Ein-wand-frei!“)

Immerhin hat das Trio Infernale beim Abstieg die Natur für sich – oder das, was von ihr übrig ist. Der Blick schweift über kahle Stellen, an denen Klimaerwärmung und Buchdruckerkäfer einst saftig grüne Fichten in kahlweiße Gräten verwandelt haben. Untermalt vom leisen Röcheln des schnottverkrusteten Wanderkükens, dessen Immunsystem gegen die virulenten Invasoren kämpft. Um sein Leid zu lindern, beschließen die verantwortungsvollen Eltern eine Investition: Der ungeschickte Einsatz einer Nasenschleim-Pipette mit extra großem Pumpbeutel soll das Kücken nachhaltig traumatisieren. Jeder Augenblick ein Geschenk, so steht es auf den Wohnmobilen.

Hexhex. Harz 2021: Terra incognita

Da eine Pandemie nachweislich nicht dazu in der Lage ist, die Wandervögel von ihren Abenteuern abzuhalten, schafft das auch ein Nachwuchs nicht. Wenngleich
Wanderküken 1 das Niveau merklich in die Höhe schraubt, gilt es doch neben Klamotten und Alltagsutensilien auch Kinderwagen und Spielzeug im babybeschalten Wandervogelmobil zu verstauen. Schließlich scheint es, als reklamiert das Küken mit seinem Gebimsel mehr Platz als die Reiseleitung. Eingepfercht zwischen Säugling, Sack und Pack rollt das Trio auf die Autobahn. Wohin soll das bloß führen? In den Harz natürlich. Mekka junger Familien, Paradies der Naturliebhaber, Valhalla rüstiger Rentner.

Hasenbrote und Möhren mümmelnd brettert das Trio gen Süden. Vorbei an hunderten LKW, deren Planen hirnerweichende Kalendersprüche zieren, während das Küken friedlich schlummert. Beim ersten Stop nach drei Stunden zeigt die bis dato völlig belanglose Reise erste Wandervogel-Style-Qualitäten: Genüsslich verinnerlicht sich Wandervogel 2 ein Reststück des vortäglich gebackenen Pflaumenkuchens, nur um beim zweiten Bissen festzustellen, dass in der Mundhöhle nichts ist wie zuvor. Zum Glück erwiesen sich Kunststofffüllungen in der Vergangenheit als wohlbekömmlich. Also eine Woche rechts kauen und hoffen, dass eine dentale Kettenreaktion ausbleibt.

Die Destination Wernigerode begrüßt mit einem Industriegebiet, dominiert von einer Brauerei, die wiederum die Gastronomie des Ortes dominiert. Es könnte schlimmer sein. Alsbald übergibt die Industrie an die Tradition und eine Fachwerksexplosion ballert den Wandervögeln in die Optik. In der Innenstadt reiht sich Gemäuer an Gemäuer, wenngleich der Charme 500 Jahre alter Handwerkskunst sich nicht so recht mit dem modernen Innenleben in Einklang bringen lassen will. So passieren die drei Wanderer dutzende Schuhläden und Spezialitäten-Manufakturen die vakuumisierte Wurstwaren und Schnäpse feil bieten. Schlimmer noch ist das motivische Band, denn alle Produkte weisen einen namentlichen Bezug zu Hexen oder dem Teufel auf. Wie überaus originell.

Die geschmackliche Krönung schlägt am Ende des Ortes ins Gesicht: hier ragt das Wernigerode-Eye in den Himmel. Umgeben ist das gemächlich seine Kreise ziehende, Riesenrad von einem urigen Rummel – Softeis und Zuckerwatte inklusive. Die ihrer Freude über diese Unterhaltung in glucksenden Lauten Ausdruck verleihenden Menschen, lassen Wandervogel 2 misstrauisch werden. Hier scheint etwas nicht zu stimmen. Die zahllosen schlecht gefärbten Frisuren verstärken den Eindruck, der sich zu einer unheilvollen Befürchtung verdichtet. Die Gewissheit schlägt wie üblich unvorbereiteten und geografisch unkundigen Wandervogel 2 schließlich mit all ihrer Wucht die Brille aus dem Gesicht, als das Trio das mdr-Regionalstudio passiert: Sie befinden sich im Osten!

Íngreme. Madeira 2020: All over now

Zurück in der Ebene sind die Schnorchel mit Süßwasser ausgewaschen und die kurzen Hosen nach hinten in den Schrank sortiert während die Sandalen lüftend auf dem Balkon baumeln. Wer das Madeira-Abenteuer der Wandervögel (noch einmal) erleben möchte, findet hier alle Beiträge in chronologischer Reihenfolge:

Íngreme. Madeira 2020: Aufbruch ins Ungewisse
Íngreme. Madeira 2020: Unter Bauern
Íngreme. Madeira 2020: Perverses Piepen
Íngreme. Madeira 2020: Bei Jesus oben ohne
Íngreme. Madeira 2020: Welliger Bettenwechsel
Íngreme. Madeira 2020: Alles nach Plan
Íngreme. Madeira 2020: Busfahrende Covidioten
Íngreme. Madeira 2020: Atlantisches Inferno
Íngreme. Madeira 2020: Treibender Bauwahn
Íngreme. Madeira 2020: Wasserfall mit Kopfnuss
Íngreme. Madeira 2020: Effektives Ritzen

Íngreme. Madeira 2020: Effektives Ritzen

Entgegen der Vorannahme ist der Norden der Insel schneller durchgespielt als vorgesehen. Die Gubbeligkeit der Unterkunft befeuert den Gedanken einer vorzeitigen Weiterreise zurück in den Süden der Insel, und nach Eiern mit Atlantikblick auf dem Minibalkon, geht es mit allen Rucksäcken wieder auf die Straße. Die fehlenden Kerben im Colt wollen die Wandervögel auf dem Weg ritzen. Die erste Kerbe sollen die Ruinen in der Bucht von Calhau de São Jorge bringen. Allerdings erweist sich das Trümmerfeld schon nach halbem Abstieg als derart unspektakulär, dass die Absteigenden beschließen, auf eine nähere Inspektion zu verzichten. Auch weil die Geräusche der in der Hängen nistenden Erdwespen sich selbst mit überbordender Fantasie nicht als freundliches Willkommen interpretieren lassen. Ab in die Gurke und weiter auf den Serpentinen.

Der Miradouro do Guindaste soll die zweite Kerbe bringen. Kraxel, kraxel, latsch, latsch und nach drei Minuten genießen die Wandervögel auf einer Klippe im Meer stehend den Blick über klares Atlantikwasser bis zum Horizont. Doch das azurblaue Idyll währt nur einen Atemzug, bis die Reiseleitung einen strengen Uringeruch wahrnimmt. Entgegen ihrer detektivischen Neigungen verzichten die Reisenden auf Nachforschungen und greifen die olfaktorische Eigenart als Argument für die Weiterreise auf. Diese soll zum ‚Balkon‘ von Ribeiro Frio führen, eine natürliche Felsformation, die nach kurzer Waldwanderung einen spektakulären Ausblick verspricht. Das Wetter nutzt selbst dieses kurze Zeitfenster für Sperenzien: Nach einem satten Guss verhüllt sich der vermeintlich spektakuläre Blick in dunstigen Nebel. So erfreuen sich die Enttäuschten eben am Spiel der possierlichen Spatzen, die sich an der Tränke balgen.

Durch von teilnahmslos dreinblickenden Bergschafen bewohnte Nadelwälder geht es nach Caniço im Süden, wo das letzte Basislager bezogen werden soll. Da bis zur Schlüsselübergabe noch reichlich Zeit ist, beschließt die Reiseleitung einen Badestop – in der Hoffnung, das Problem mit der Kanalisation seit mittlerweile beseitigt. Vor Ort weist ein Schild darauf hin, dass die Badestelle mittlerweile ‚unbewacht‘ sei, was Wandervogel 1 nicht davon abhält, mit Schnorchel und Maske in die Meeresfluten zu springen. Das Badevergnügen trübt lediglich, was die Reiseleitung in Badeeuphorie übersah und dafür nach dem Eintauchen um so eindrücklicher wahrnimmt: zahlreiche Bauarbeiter sind damit beschäftigt, Rohrleitungen zu flicken, die in das natürliche Badebecken münden. Angesichts des Vorwissens um das kloakische Problem der piscina naturale am Praia Reis Magos ist das dann zu viel Natürlichkeit.

Als deutlich bessere Badealternative erweist sich erneut das Meerwasserbad im örtlichen Resort-Hotel. Das Wetter zeigt sich einsichtig, so dass auch die Tiefsee den Schnorchelnden offensteht. So entschließen sich die Wasservögel dann auch, die letzten Tage ihrer Reise auf die Atlantik-Insel der Beobachtung des aquatischen Lebens zu widmen und sich vom Sprungbrett in die Fluten zu stürzen. Im Nachhinein soll sich die Abkühlung als hervorragende Idee erweisen, denn während die Maschine zum Abflug auf die Piste rollt, stellt sich die Klimaanlage defekt heraus. Während die Maskenvögel eine Stunde mit den anderen Sardinen in der Büchse schwitzen, schwelgen sie in Erinnerungen an widerspenstige Haushaltsgeräte, vernebelte Panoramen und den Gestank der Kupplung. Bis zum nächsten Abenteuer.