Íngreme. Madeira 2020: Wasserfall mit Kopfnuss

Im Baulärm-Exil bemühen sich die Wandervögel um Ausschlafen. Doch es kann nicht sein, was nicht sein soll. An die Stelle der fröhlichen Handwerker vom Vortag tritt ein sehr ambitionierter Glöckner-Azubi, der mit großer Hingabe an seinen Strängen herumreißt. Die aus diesen Aktivitäten resultierende Kakophonie in Bronze ist wenig wohlklingend, aber wohl sehr weckend. So machen sich die Erweckten dann aus Gründen der Glockenflucht entgegen der Planung frühzeitig auf den Weg zur Tagesaktivität, ein Wasserfall-Gewaltmarsch. Der Weg dorthin schlängelt sich wieder durch menschenleere Dörfer. Lediglich in einer weniger haarnadeligen Kurve verkauft ein Landwirt die Früchte seiner Arbeit von der Pritsche seines Lastwagens. Da der Bedarf der Wandervögel an Kürbis und Zucchini gerade überschaubar ist, bleibt es bei einem freundlichen Winken.

Kühle Bergluft und der Schatten des dichten Blätterdachs sorgen für ein gemäßigtes Klima, in dem die Hortensienhaine der brennenden Sonne besser widerstehen und ihre Farbe behalten. Geleitet von diesen blauen Tupfern geht es entlang der Levada Caldeirao Verde leicht bergauf durch den Wald. Der Boden überzogen von knorrigen Wurzelwerk, das anmutet wie ein in der Bewegung eingefrorener Schwarm Aale. Vereinzelte Artgenossen kämpfen sich entgegen der Strömung den eingefassten Flusslauf hinauf. Um noch mehr Abwechslung in die idyllische Aktivität zu bringen, führt der Pfad durch pechschwarze Tunnel. In mehreren Akten seine Nachtsicht überschätzende Überheblichkeit nutzt Wandervogel 2 die Lichtlosigkeit sich seinen Schädel anzuschlagen und seine Tevas im eiskalten Matsch zu versenken.

Im Verlauf wird der zulaufende Pfad zum Drahtseilakt, bei dem sich die Verwendung der drahtseilernen Führung als sinnvoll erweist; insbesondere bei aufkommendem Gegenverkehr, der ein akrobatisches Schauspiel zur Folge hat. Ob der Enge spreizt eine Partei die Beine über die Levada und klammert sich an die zuvor unerwähnte Felswand, um die andere (hier stets: die Wandervögel) passieren zu lassen. Bei diesen Begegnungen sinniert die Reiseleitung über die wachsende Grußfäule und darüber, dass die Franzosen darauf bestünden, alle Welt in ihrer Sprache zu begrüßen. Diese Beobachtung verarbeitend, besinnt sich Wandervogel 2 auf sein heimatverbundliches Sendungsbewusstsein. Fortan schallt den Wandervögeln Entgegenkommenden ein inbrünstiges ‚Moin‘ entgegen.

Der Lohn wanderischer Mühen kommt nach sechseinhalb Kilometern in Sicht. Am Ende der Levada stürzt sich ein 100 Meter hoher Wasserfall in die grüne Tiefe. Kekse knuspernd betrachten die Wandervögel das Schauspiel und nehmen sich des Rückwegs an. Aufgrund der weit fortgeschrittenen Tageszeit bleiben Gegenverkehre und damit einhergehende Levadaspagate aus. Nur kurz vor dem Ende ihres Weges begegnet die Reisegruppe einem leicht bekleideten wie bepackten Pärchen, dass den Rückweg in Dunkelheit in Kauf nimmt. Fröhlich und unbedarft wandern diese in ihr Verderben – nie wieder ward’ von ihnen gehört. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

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