Hexhex. Harz 2021: All over now


Es hat sich ausgehext. Die Wandervögel sind nebst -küken wieder sicher im Horst gelandet und resümieren im Geheimen, ob der (Ost-)Harz nun eine gute oder schlechte Idee war. Wer sich sich selbst ein Bild machen möchte, findet hier alle Beiträge des Ausflugs in chronologischer Reihenfolge. Ist ja gute Sitte…

Hexhex. Harz 2021: Terra incognita
Hexhex. Harz 2021: Luchslos
Hexhex: Harz 2021: Die Hölle sind Hexen
Hexhex: Harz 2021: Tückische Wege
Hexhex. Harz 2021: Plan B
Hexhex. Harz 2021: Endspiel

Hexhex. Harz 2021: Endspiel

Alles geht einmal zu Ende, auch die erste Reise mit dem Wanderküken. Für das Finale haben sich die Wandervögel etwas ganz Besonderes aufgespart, ein Weltkulturerbe! Erfahrene Mitreisende wissen, wo Weltkulturerbe drauf steht, da sind Wandervögel drin und so machen sie sich auf nach Goslar. Vor Ort stellt sich allerdings heraus, dass der zuständige Sachbearbeiter bei der UNESCO während der Bearbeitung des Vorgangs abgelenkt gewesen sein muss, denn statt eindrucksvoller Besonderheit sehen sich die Wandervögel mit Bausünden konfrontiert. Die Erdgeschosse der Fachwerkbauten haben Irre aufs Schlimmste nachkriegssaniert, das Mittelalter beginnt hier erst im ersten Stock. Doch die unsinnige Architektur scheint ihre Fans zu haben, denn Horden rauchender Menschen schieben sich durch die Fußgängerzone. Überhaupt scheint hier alles und jeder zu rauchen und so wandelt das Trio in einer stinkenden Wolke durch Hässlichkeit.

Doch Goslar weiß seine Kundschaft zu bedienen. Das Jungvolk deckt sich mit Alpha Industries ein, die Mamas kaufen für die Papas im Camp-David-Flagship-Store, die Rentner humpeln in den Tredy – es ist die Modehölle. Die Wanderer treten die Flucht nach vorne an und machen sich auf in Richtung der Abzucht. Dicht an dicht drängen sich hutzelige Häuschen entlang des Ocker-Nebenflusses, jedes mit einer Brücke an das hier menschenleere Kopfsteinplasterstraßennetz angebunden. Die barock-symmetrische Kaiserpfalz – Hitler ließ sich hier gerne fotografieren – lassen sie links liegen, nur um in eine Horde von 40 Sprallos zu rennen. In Goslar sind die Reichsbürger los und fordern unter Einsatz billigster Lautsprechertechnik, in Bollerwagen und mit Transparenten die Abschaffung der Bundesrepublik. Anstatt sie zu verprügeln, passt die Ordnungsmacht gut auf sie auf.

So ist Goslar nach drei Stunden durchgespielt, der Tag jedoch erst halb rum. Erneut muss die Reiseleitung improvisieren und zaubert eine weitere Destination aus der Bluse: Enter Bad Harzburg. Schnell zeigt sich, dass die Legende wahr ist. Sie befinden sich an jenem Ort, den die Rentner zum Sterben anströmen. Zwischen Sole-Therme und jeder Menge Cafés, in denen man sich von morgens bis abends Sahnetorte zwischen die dritten Zähne schieben kann, warten sie auf das letzte Röcheln. Das Kaffee-Gedeck besteht aus Kännchen, Schwarzwälder Kirsch und einem Zigarillo. Auch der Einzelhandel ist auf die Zielgruppe eingeschossen, so setzt der Schuhdiscount voll auf die Creme-farbene Palette und der Ausstatter für Damen und Herren in unmittelbarer Nähe füllt seine Auslage mit Schultergepolstertem. Leben am Limit. So steht es auf den Stelen im Heilbad.

Doch beim Flanieren ist höchste Vorsicht geboten, denn alle Pensionäre sind bewaffnet. Die Spanne reicht von Teleskop-Wanderstöcken über Krücken bis hin zu scharfkantigen Rollatoren. Die coolen Kids unter 75 Jahren hängen im Kurpark ab, in den das Trio ehrfurchtsvoll eintritt. Hier hat die Natur ihre Ordnung. Rasenkanten, die ihren Namen verdienen und farblich sauber getrennte Blühpflanzungen verströmen die Illusion, dass alles seine Ordnung habe. Bisweilen durchschneiden schrillende Nokia-Klingeltöne die Ruhe, doch am Ende siegt der erdrückende Biedermeier des sattgrünen Zierrasens. Weiter weg von Abenteuer geht es nicht. Für die Wandervögel das Zeichen zum Aufbruch. Mit einem leisen Schnarchen auf dem Rücken schleichen sie sich davon. Es ist noch keine Zeit zum Sterben. Auf Wiedersehen, Harz.

Hexhex. Harz 2021: Plan B

Als der Brocken auf dem Programm steht und die Reiseleitung in die entsprechende Detailplanung einsteigt, offenbart der Harz seine häßliche Fratze. Anfahrt mit dem Auto verboten, nehmen Sie doch gerne die mit vielen anderen pensionierten Maskierten gefüllte maßlos überteuerte Bergbahn. Blitzschnell zieht Wandervogel 1 Plan B aus der Tasche. Statt auf den Brocken geht es auf den geringfügig minder spektakulären Wurmberg, von dem aus man den Brocken dann sehen kann. Alle ab in die Gurke, alle ab in die Wurmbergseilbahn und rauf auf 971 Meter, wo eisige Winde und Nieselregen das völlig unangemessen bekleidete Trio begrüßen.

So drehen sie ihre Runden auf der Wurmspitze, winken dem wolkenverhangenen Brocken zu und schütteln die Köpfe über todesverachtende Mountainbiker, die sich den durch Hindernisse gewürzten Hang hinabstürzen. Beim Aufwärmen in der einer Alm nachempfundenen Schenke stimmen zwar die Einlassregeln, nicht aber das Essen. Die Brotplatte mit lokalen Spezialitäten, die Wandervogel 2 todesmutig ordert, erweist sich als Sammlung von Geschmacklosigkeiten. Die Enttäuschung überträgt sich auf das Wanderküken, das spontan alle Energiereserven mobilisiert und schrill schreiend dazu übergeht, die Alm zu zerlegen. Wehe denen, die schlecht servieren.

Aus den rauchenden Trümmern der Almschenke geht es mit der Seilbahn zurück ins Tal. Hinweg über zerschundenes Land und Kahlschlag, der im Winter mit Schneekanonen kaschiert wird, damit keiner auf die Idee kommt, sein Recht auf Skifahren in der Umgebung einzuklagen. Weil das Wetter zwar schlecht, aber der Tag noch jung ist, zaubert die Reiseleitung eine weitere Destination aus dem Handschuhfach. Der Weg führt an den Oderteich, historische Talsperre und artenreiches Biotop. So staksen die Regenbejackten und permanent vom geschulterten Küken Beschnarchten über Stümpfe und erfreuen sich an der schier grenzenlosen Vielfalt von Farnen und Moosen. Verdrießlich stimmen indes die Farbflecken im Grün, denn unter Hundebetreibern ist hier die Unsitte verbreitet, den Kot der Tiere in bunten Kunststoffbeuteln zu sammeln und diese weithin sichtbar über Äste zu hängen.

Doch auch die Handlungen der grundsätzlich vorbildlichen Wandervögel rächen sich. In Wandervogel 2 rumort die Brotplatte von der Bergspitze gar fürchterlich, der Harzer Käse kämpft gegen die Mettwurst um die Magensäure. Aufsteigende Abluft lehrt den Touristen ein ums weitere Mal, dass „Spezialität“ ein wertfreier Begriff und Harzer Käse keine Delikatesse ist. Rülpsend geht es um den See, durch Matsch und über Baumwurzeln. Stets auf der Hut vor Rowdies, die mit vollgefederten und dick profilierten Mountainbikes durch die Idylle rasen. Das Kontrastprogramm findet sich in den unbefahrbaren ufernahen Bereichen wo die geschulten Augen Venusfliegenfallen und andere liebreizende Exoten erspähen. Was halt so erwachsen kann, wenn man lange richtig viel Wasser aufstaut.

Hexhex: Harz 2021: Tückische Wege

Mit von Schnodder prall gefüllten Nebenhöhlen brechen die Wandervögel am vierten Urlaubstag zu den legendären Höhlenwohnungen von Langenstein auf. Der vermeintliche Weg führt durch von AFD-Plakaten mit Pimmel-Sörens Konterfei gesäumten Kopfsteinpflaster-Gassen vorbei an frei zugänglichen Kaninchenställen mitten ins Nirgendwo. Im zweiten Anlauf werden die Wandervögel fündig, beschließen jedoch die miserabel ausgeschilderte provinzielle Sehenswürdigkeit rechts liegen zu lassen – sind doch die in Stein gehauenen Behausungen von silberlockigen Rentnern überlaufen. Die Sache mit den winzigen Wohnungen hat hier scheinbar lange Tradition.

Als Ersatz soll ein Waldspaziergang herhalten und die Crew düst in die Ödnis um Halberstadt. Der Eingang in die Wildnis der Klusberge liegt hinter einem Seniorenstift. Vorbei an der legendären Ypsilantiquelle marschieren die Vögel mit schnarchendem Küken auf dem Rücken durch die Botanik zum Fünffingerfelsen. Nach dem Aufstieg erweist sich die Sandsteinformation bei näherer Inspektion als komplett geschändet. Über Jahrzehnte haben mitteilungsbedürftige Pennäler ihre sinnfreien Botschaften und Daseinsbekundungen in die Oberfläche geritzt. Dem Naturerlebnis weiter entgegen steht das nahe Halberstädter Industriegebiet, dessen unablässiges Rumoren den Waldspaziergang begleitet.

So beschließen die Wandervögel denn die kaputte Natur sich selbst zu überlassen und sich der Fachwerksfaszination von Quedlinburg hinzugeben. Skeptisch macht hier der weitgehende Verzicht auf Parkraumbewirtschaftung. Tatsächlich ein Baustein der Aktivierung, denn die mittelalterliche Stadt schrumpft sich kaputt. Alles was eine Zukunft jenseits des Tourismus sucht, macht sich auf die Socken. So proklamiert es der Stadtführer, der seinen Tross an den Wandervögeln vorbei lotst und dabei mit einer Quedlinburger Erfindung von Weltrang prahlt: den hochklappbaren Bürgersteigen. Er setzt noch einen drauf: Wenn Sie hier auf der Straße nach 18 Uhr tot umfallen, werden Sie erst am nächsten Morgen gefunden.“

So kopfsteinpflastert das Trio vorbei an Gastronomie, die sich des weltbesten Käsekuchens rühmt, Museen, die Dampfmaschinen in Nussschalen ausstellen und zur großen Verwunderung auch einem Innenausstatter mit geschmackvollem Angebot. Bei der Einkehr in der lokalen Gastronomie scheint jedoch wieder deutlich die unterstellte Beschränktheit durch. Das Lokal Ruinen Romantik legt im Aushang großen Wert auf 3G, während das Personal sich nicht darum schert, den G-Status der Gäste zu überprüfen oder sie für eine Nachverfolgung zu registrieren. Die Lösung findet sich bei genauerem Hinsehen, denn hier steht 3G für Genuss, Geselligkeit und Gute Laune. So viel Lebensfreude wirkt fast ansteckend.

Hexhex: Harz 2021: Die Hölle sind Hexen

Wer wenig hat, muss aus allem was machen. So denken die Menschen in Thale und setzen voll auf die Mythenkarte. Die sticht auch die Wandervögel, die ihre Gurke inmitten einer Industriebrache parken und sich durch Peter‘s (sic) Freizeitwelt-Imperium kämpfen. Brav widerstehen sie dabei allerlei kulinarischer Versuchungen, die ihnen die bis dahin unbekannte Pfifferlingszeit mit sich bringt. Vorbei an Seniorenwohnpark und Klettergarten wird das Trio in der menschenleeren Schalterhalle der Kabinenbahn vorstellig. Auf geht es zum Hexentanzplatz, wo – so dass vollmundige Versprechen der hiesigen Marketing-Blitzbirnen – im Harz der Teufel los ist.

Der Hexentanzplatz zeigt sich den Unvorbereiteten weniger als Platz, denn vielmehr als weitläufiges Erlebnis-Areal, in dem es nichts ohne Hexen gibt: Ein Hexenparkplatz, Hexengolf und ein auf dem Kopf stehendes Hexenhaus. Das Arrangement aus Homunkulus, Pimmel-Teufel und Arsch-Hexe. Hexenpommes, Hexenburger und Hexennippes – ein unsäglicher Karneval als befände man sich am Königssee. So umzirkeln die Wandervögel das Areal und werfen Blicke in den Wald, der auf andere eine hypnotische Wirkung ausübt. So bittet eine Vettel die Wandervögel freundlich aber bestimmt, die Unterhaltung mit dem Wanderküken einzustellen, denn diese würde nicht zu der Tonspur des Videos passen, dass sie mit ihrer Kompaktkamera aufzunehmen gedenke. Waldvideos: Momente für die Ewigkeit.

So gondeln die Unerwünschten gen Tale und widerstehen angesichts der Retraumatisierung der Versuchung, einen Besuch in das DDR-Museum zu unternehmen, zu dem ein schwarz-rot-golden lackierter Trabant am Wegesrand einlädt. Sie kehren Thale den Rücken und nehmen Kurs auf ein Wunderwerk der Ingenieurskunst, Titan RT. Hinter dem martialisch-nichtssagenden Namen verbirgt sich eine lange Hängebrücke, die die Wandervögel zu inspizieren planen. Der Parkplatz lädt zu einem Wechselbad der Gefühle. Während die hoch-moderne Parkraumüberwachung unter Angabe des Nummernschilds begrüßt, verlangt die Klofrau von der bedürftigen Wandervögelin einen sportlichen Euro für die Benutzung der Bedürfnisanstalt. Begründung: Es würde ja auch gereinigt. Was für eine Schwarzgeldquelle.

Die Titanbrücke begrüßt die Wandervögel mit Furchtbarkeit. Aus den Lautsprechern entlang des Geländers plärrt „I promised myself“ gefolgt von „My heart will go on“. Den eigentlich Todesmutigen schlackern die Knie. Doch wer bezahlt hat, dreht nicht um. So geht es die Aussicht genießend flott über die Talsperre der Rappbode, begleitet von den Schreien vereinzelter Wagemutiger, die das angeschlossene Bungee- und Ziplining-Angebot nutzen. Der Heimfahrt in das Schuhkarton-Appartement entgegen steht der linke Außenspiegel des Wandervogel-Mobils: Kurzerhand beschließt dessen Scheibe, nichts mehr mit der Halterung zu tun haben zu wollen. Der Blitzreflex der Reiseleitung reicht aus, sie vor dem Splittertod zu bewahren. Pattex sei Dank, bleiben die Verfolger im Blick.