Chop Chop. China 2017: Im Taxi durch Ruinen


Um den Zeitverlust des Vortages wieder aufzuholen und alle geplanten Sehenswürdigkeiten abzufrühstücken, aktivieren die Wandervögel zu Plan B: Geld drauf werfen. Anstatt sich – auf zeitliche Kante genäht – mit Taxifahrern rumzuschlagen, in Bussen über Serpentinen zu schleichen und im Nirgendwo zu warten, bestellen sich die beiden einen Chauffeur, der sie in seinem VW Bora wie Graf Koks und seine Gattin durch die Landschaft kutschiert. Der erste Stop ist das hängende Kloster von Hengshan, wo Mönche vor 1.500 Jahren ihr Domizil an eine steile Felswand stellten.


Die hölzerne Anlage verdient ob ihrer Konstruktion Anerkennung, haut die Wandervögel allerdings nicht komplett vom Hocker. Daran Anteil haben unter anderem die Horden von Touristen, die sich durch die engen Gänge quälen und die wiederum Rückschlüsse auf die Physiognomie der Erbauer zulassen. Am Ende dieses Ausflugs tun die Reisenden dann ihre gute Tat und helfen einem gestrandeten Australier aus der Bouillon: Sie lassen den seit einer Stunde in der Hitze Schmorenden zu seiner Bushaltestelle chauffieren – und fügen der Zunft der wegelagernden Taxi-Abzocker eine empfindliche Niederlage zu. Ein guter Rat: Nicht mit den Wandervögeln anlegen.


Die zweite Attraktion des Tages ist die Höhlenanlage von Yungang – auf den ersten Blick lediglich eine weitere Reihe von Tempeln, die allerdings so tadellos aussehen, als hätte man sie erst kürzlich aufgestellt. Diesen Eindruck verstärkt eine gigantische gelbe Gummiente, die in einem idyllischen See treibt und sich nicht so recht in das Gesamtbild fügen will. Nach einem ausgedehnten Schlendergang gelangen die Wandervögel dann in das Hinterland der Anlage, das sich als die tatsächliche Attraktion herausstellt.


Vor mehr als 1.500 Jahren hatten die Chinesen wohl nicht Besseres zu tun, als gigantische Buddha-Statuen aus dem Sandstein zu kloppen. In dutzenden Höhlen grüßen die meterhohen Lächler mit den auf die Schultern aufsetzenden Ohrläppchen, teils brutal lieblos mit Wackersteinen restauriert, wo das Originalmaterial und die umgebende Stroh-Matsch-Paste dem Zahn der Zeit nicht widerstehen konnte. Doch nach dem 30. Buddha haben die Wandervögel die Nase voll – im Gegensatz zu einer Horde Mönchsgewandeter, die sich vor jeder der Sakralskulpturen auf den Boden werfen.

Chop Chop. China 2017: Perfekt geplant

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Auch im Anschluss an Peking kommt nicht mehr Luft in das Programm. Im Gegenteil. An diesem Tag soll in Datong (wie Betong) ein neues Basislager zu errichtet und von dort aus das hängende Kloster von Xuankong Si und die Grotten von Yungang angesehen werden. Davor hat das höhere Wesen allerdings zahlreiche Prüfungen gesetzt. Damit sie mit der ersten U-Bahn zum Busbahnhof brausen können, springen die Reisenden um 6 Uhr vorfrisiert aus dem Bett in die Gurte ihrer gepackten Tornister. An der U-Bahn-Haltestelle angekommen, werden sie dann unverhofft Hauptdarsteller bei „Velstehen Sie Spaß“, als der Fahrkartenautomat sich weigert, ihr Geld anzunehmen. Nach zehn Minuten erbarmt sich das Personal und deutet auf ein kleines Schild, das wohl besagt, der Automat nähme nur Münzen an. Total witzig. Bus weg.

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Vor dem Einstieg in den Folgebus dürfen die Wandervögel dann etwas Wartezeit im Busbahnhof verbringen, die sie mit weiteren Studien der chinesischen Seele verbringen. Erkenntnisse dieser Studien sind unter anderem, dass die Schrecklichkeit chinesischer Kleidung grenzenlos ist (hier: Der Mann mit dem drei Meter langen Gürtel, der Mann mit der vier Nummern zu großen Hose) und dass man die allgegenwärtige Dreischritt-Rotzerei aus Nase hochziehen, Rachen hochziehen, Schleimball absondern auch innerhalb geschlossener Räumlichkeiten durchführen kann, ohne dass es jemanden störte. Der Unsitte Krone wird dann während der Busfahrt offenbar: Auch innerhalb geschlossener Fahrgastzellen: *snrrrrrt* *chrrrrrt* *ptui*.

Die Busfahrt verläuft ereignislos und im Zeitlupentempo. Wohl, weil der Busfahrer nach seiner Umschulung vom Kung-Fu-Mönch seinen ersten Arbeitstag in der neuen Profession hat. Seelenruhig ist er eins mit sich selbst und dem Fahrzeug, das er mit Tempo zehn durch Peking chauffiert. Die Stunden verfliegen, der Zeitplan implodiert.

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Die nächste Eskalationsstufe zündet nach der Ankunft in Datong (wie Betong), wo Wegelagerer-Taxifahrer die Wandervögel über den Tisch ziehen wollen. Ein freundlicher Einheimischer weist die Reisenden darauf hin, dass die gemachten Preisansagen völlig überzogen seien und lädt sie dazu ein, in dem von ihm beorderten Gefährt mitzureisen. Dieses Angebot hat eine Kernschmelze in den überschaubaren Hirnregionen des Wegelagerer-Taxifahrers zur Folge, der besinnungslos auf den geschäftsschädigenden Landsmann einzuschreien beginnt, bis dieser sein Angebot zurückzieht. Als die Wandervögel das Angebot zu überzogenen Preisen mitzureisen bestimmt ausschlagen, verkippt die Situation in einen internationalen Konflikt, der schließlich damit endet, dass Wandervogel 2 den Taxifahrer anbrüllt und mit Wandervogel 1 unter Vollast einen Vier-Kilometer- Spaziergang unter der sengenden Sonne unternimmt.

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An der Stelle, an der sich die Unterkunft befinden soll, befindet sich lediglich ein Körperpflege-Institut. So parkt Wandervogel 2 die Reiseführerin im Schatten und macht sich allein auf die Suche nach der Unterkunft. Nach einer halben Stunde erfolgloser Ermittlungen versucht er sein Glück schließlich verzweifelt im Spa-Salon, an dessen Wand unter anderem ein Bild hängt, das Gerhard Schröder Arm in Arm mit den Betreibern zeigt. Die Welt, ein Dorf. Tatsächlich erweist sich die Kosmetikerin als hilfreich, ruft das Personal der Herberge und bedeutet Wandervogel 2 in einer Kunstledergarnitur Platz zu nehmen, wo ihm Melonenscheiben und Tee serviert werden. 500 Meter Luftlinie entfernt ist der von diesen Entwicklungen ahnungslose Wandervogel 1 mittlerweile von einem knappen Dutzend hilfsbereiter aber aufgrund der Sprachbarriere nicht hilfreichen Chinesinnen umringt. Der Höhepunkt der Hilfsbereitschaft ist erreicht, als Wandervogel 1 ein Telefon in die Hand gedrückt bekommt über das sich eine Englisch-Lehrerin aus der Ferne um Hilfe bemüht. „Where are you?“ „I don’t know. On a big corner!“ Schließlich sammeln Wandervogel 2 und die von der Herberge Gesandte Wandervogel 1 ein und man zieht unter Dankesbekundungen von Dannen.

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Die Unterkunft schließlich könnte nicht besser versteckt sein. Durch einen in chinesischen Schriftzeichen bemalten unbeleuchteten Seiteneingang in der Nebenstraße einer Einkaufszeile werden die Wandervögel zu einem Fahrstuhl geführt. Auch in diesem weist keine Notiz darauf hin, dass das 22. Stockwerk des Gebäudes zur Herberge ausgebaut wurde. Da der Zeitplan mittlerweile komplett zerstört ist, machen sich die Wandervögel in den Straßen der versmogten Betonmetropole auf die Suche nach etwas Essbarem. Da die Bestellung durch Deuten auf bunte Bilder an der Wand des Etablissements erfolgt, kommt es, wie es kommen muss: Ein Teller mit lecker-scharfem-Rindfleisch, ein brodelnder Topf mit Gemüse, Innereien und etwas das vermutlich die Kämme von Riesenhähnchen oder ein Dottersack waren. Mahlzeit.