Nach drei Stunden im Minibus zwischen jeweils 50 Pfund Sackware Hunde- und Katzenfutter, sowie namenlosen, kontinuierlich Schleim aufhustenden Mitreisenden sind wir – zwei Fahrten mit verrosteten Autofähren später – auf Ko Lanta angekommen. Eigentlich wollten wir in der Inselphase unserer Reise Koh Phi Phi einen Besuch abstatten, aber ‚Phi Phi‘ soll selbst in der Nebensaison von feierfreudigen jungen Menschen überlaufen sein. Genau das Falsche für uns, die wir uns nichts sehnlicher wünschen, als dass all diese jungen, hormongefluteten, energiegeladenen, lauten Menschen in einer Erdspalte verschwänden – junge Rentner im Geiste.
Unsere Bleibe erfüllt alle Klischees. Weißer Strand, der sich zu gleichen Teilen aus weichgespülten Korallen und Sand zusammensetzt. Ein Bungalow mit Hängematte und Blick auf das Andamanische Meer. Brandung und Meeresrauschen rund um die Uhr. Hier werden Werbespots gedreht, wenn man Joghurts mit exotischen Geschmacksrichtungen verkaufen möchte – oder das vollklimatisierte Rentnerglück, das unseren Geschmack noch viel besser bedient. Nach einem Tag knattern wir in Hühnerschrecks über das Eiland, das fahrerisch durchaus anspruchsvoll ist – mit Vollgas in den Talkessel, um die 15-prozentige Steigung unter lautstarkem Widersprechen des Zweitakters zu bewältigen. Natürlich Achterbahn.
Auf der einen Seite der Regenwald, Makaken in den Bäumen und auf der Straße; fressend, sich lausend, in der Sonne badend. Auf der anderen Seite Steilhang, Meer, Strände aus Sand, Korallen und Geröll. Hier Elefanten, die ihren Herren beim Zusammenkehren von Palmblättern helfen, dort ein Skorpion, der eilig die Straße kreuzt. Auf der vergeblichen Suche nach einem Wasserfall begegnen wir einem Trupp Weißrussen. Sie berichten von Schlangen am Wegesrand, die Mopeds anspringen. Thailands Fauna, der Stoff aus dem Fabelwesen und Legenden sind.
Nach einem langen Tag auf dem 50-ccm-Bock geht es in die Pfahlhütte, in die allerdings ungefragt ein neuer Mitbewohner eingezogen ist. Wandervogel 1 betritt das Bad, schnippst den Lichtschalter an und beugt sich zum Waschbecken herunter, um sich frisch zu machen. Wandervogel 2 folgt, stößt einen gellenden Schrei aus, hämmert auf den Lichtschalter und springt aus dem Raum. Die Verwunderung ist groß in Wandervogel 1, Wandervogel 2 sitzt kalkweiß, von Ekel geschüttelt auf dem Bett und atmet schnappend. Unter Würgen presst sie zwei Worte hervor: „Gecko.“ „Riesig.“ Von einer Sekunde auf die nächste ist der Urlaub vorbei.
Todesmutig/-verachtend macht sich Wandervogel 1 nun selbst ein Bild von der Lage. Nachdem der fahle Schein der von der Decke baumelnden Energiesparlampe die Naßzelle erhellt, sieht er vor sich eine große Erscheinung an der Wand. Stattlich aber von Jahren doch gezeichnet, mit einem Funkeln in den Augen, das gleichermaßen bedrohlich wie attraktiv wirkt. Vom Gecko zunächst keine Spur, doch – hinter dem Spiegel, dem großen Spiegel gegenüber der Eingangstür, ragt ein gewundener Schwanz hervor. Zwischen Spiegel und Wand hat es sich der tatsächlich bemerkenswert große Gecko bequem gemacht und atmet still, taktierend.
Wandervogel 2 lebt derweil in einer Welt aus Angst, eine Welt in der Geckos die Menscheit unterworfen haben, um sie zur Eianlage und als Brutstätten zu benutzen. Weder der Vorschlag von Wandelvogel 1 den Spiegel markig an die Wand zu drücken, um den Gecko zu zerquetschen noch der, den Spiegel hinauszutragen, um den Gecko in die Wildnis zu bugsieren, gefallen. Wandervogel 2 steht auf dem Bett, geschüttelt von Ekel und hektisch von einem Bein auf das andere tretend. Trotz Angstlähmung ist Wandervogel 2 doch in der Lage, ihren größten Wunsch in knappe Worte zu kleiden. Ein Wunsch, der gleichzeitig ihre größte Angst offenbart: „Ich will nicht, dass der Gecko heute Nacht unter dem Bett ist.“
Während Wandervogel 1 schnarcht, als gäbe es dafür ein Preisgeld, verlebt Wandervogel 2 eine vergleichsweise unruhige Nacht. Jedes der zahlosen Dschungelgeräusche, unter der Pfahlhütte vorbeiziehende Krebse, fallende Palmblätter, Grillen und das unablässige Rauschen des Meeres, wird automatisch in Relation zum Gecko gesetzt, der auch am nächsten Morgen noch hinter dem Spiegel hängt. Der ausgefuchste Plan von Wandervogel 2, das nachtaktive Tier durch Brennenlassen der Badezimmerbeleuchtung festzunageln, ging auf. Ein hoch auf die Wikipedia, die indes auch in der Lage war dem Schrecken einen Namen zu geben: Tokeh-Gecko.
Am kommenden Morgen stehen dann zwei vorgeblich erfahrene Gecko-Fänger vor der Tür. Ihre Ausrüstung ist spartanisch: Ein Bambusstab, an dessen einen Ende sich eine Schlinge befindet. Durch eine Kordel am anderen Ende des Stabes wird diese zugezogen, der Gecko gefangen – in der Theorie. In der Praxis zieht sich die Safari über fünf Minuten und drei Räume. Unter schrillem Schreien des vor Ekel auf dem Bett auf und ab hopsenden Wandervogel 2 und der kurz zuvor noch todesmutigen Angestellten („Oh my God, it’s really big.“) führt die Treibjagd über den Flur und endet schließlich vorerst auf der Veranda.
Fauchend und mit weit aufgerissenem Maul, Reihen von winzigen aber sicher vollvergifteten und rasiermesserscharfen Zähnen entblößend, stellt sich der Gecko kampfbereit seinen Häschern entgegen, die mittlerweile Handschuhe tragen. Wie in Zeitlupe wandert die Schlinge über den Echsenkopf, doch in dem Moment, in dem der Geckojäger an der Kordel reißt, schießt das Reptil in meterweitem Bogen von der Wand und landet mit lautem Klatschen im Blätterwald unter dem Pfahlbau. Doch der Sprung und anschließende Fall waren zu viel. Mit einem gezielten Griff packen ihn die Fänger. Die Bedrohung ist vorerst beseitigt. Der Urlaub kann weitergehen.