Big Thali. Indien 2015: Ruinöses in der Wüste


Der wohlklingende Name ist trügerisch: Jai Sal Mer ist kein französicher Küstenort, sondern Jaisalmer, eine Stadt in der Wüste, gut 100 Kilometer von der parkistanischen Grenze entfernt. Oder von der indischen Grenze. Je nach dem mit welcher Atommacht man es sich verderben möchte. Mehrsprachig empfängt die metallische Durchsage am Bahnhof Ankommende. Tatsächlich zeigt sich das Land hier von seiner aufgeräumteren Seite. Also weniger Müll, erträglicherer Exkrementedunst und eine überschaubare Zahl an Verkehrsteilnehmenden. Dafür Schweine und Ziegen, die sich hungrig daran machen, die achtlos weggeworfenen Abfälle zu dezimieren.


Ein weiteres Novum: Armee auf jeder Straße; schließlich findet man den Nachbarn ja nicht all zu bombig. Interessant, wie die indische Bundeswehr sich eine lässige Note verleiht. Neben Mütze ist auch Turban zulässig, das olivfarbene Hemd nach Feierabend gerne bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, um die silberne Big-Daddy-Brustbehaarung zu präsentieren. Einzelhändler locken streunende Kühe in ihre Geschäfte, die übrigen Kleinunternehmer sind von der Hitze so K.O., dass sie kaum versuchen, Touristen von ihrem Angebot zu überzeugen; sonst zeckige Tuktuk-Fahrer lassen sich allein mit Blicken abweisen. Die Wüste hat ihre Vorteile.


Die Wüste hat allerdings auch Nachteile. Da hier keiner so recht Lust auf Arbeit zu haben scheint, dauert nicht nur die Zubereitung von Speisen, sondern auch der Hausbau Ewigkeiten. Die Mahnmale der Kapitulation vor der sengenden Sonne sind zahlreich und das Stadtbild prägend. Staubige Rohbauten in jeder Gasse. Vieles, was höher als ein Stockwerk ist und mal schlüsselfertig war, ist in stetigem Verfall begriffen. Überdies ist alles angenehm gelb und staubig, aber das bringt die Wüste nun mal mit sich. Warum hier Menschen leben und noch dazu eine beeindruckende Festungsanlage erbaut haben, die Indiana Jones and the Last Crusade zur Kulisse gereicht hätte, weiß sicher die Wikipedia. Außerdem: Auch Helgoland ist bewohnt.


Noch nicht endgültig ergründet ist bislang der mysteriöse Muezzin. Stimmlich äußerst irrtierend scheint es sich dabei um einen Zwölfjährigen zu handeln, der überdies mit technisch anfälliger PA oder einem akustisch wenig planvoll aufgestellten Minarett zu kämpfen hat. Durch variable Lautstärke und Tonqualität bekommt das Liturgische ungewollten Pepp. Unterlegt mit einem dicken Beat hätten die jugendlichen Ausrufe Hitpotenzial. Die Wüste überrascht. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

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