Supersized. USA 2018: Monumentale Gurkenscheiben

Als feigenblättrigen Ausgleich für vorenthaltene Frühsücksleistungen haben die Abzock-Indianer den Wandervögeln eine Mini-Kaffeemaschine in das Badezimmer gestellt. Der Apparat demonstriert anschaulich, wie sehr die Ureinwohner noch immer mit Natur einklinken. Um einen Becher Kaffee zuzubereiten muss zunächst der Becher aus einer Plastikfolie befreit werden. Dieser wird mit Wasser gefüllt und in die Maschine gekippt. Anschließend befreit man den Kaffee in der Filtertüte nebst Plastik-Brauschale aus einer Plastikverpackung führt beides in die Maschine ein. Knopf drücken und los geht der Vorgang, bei dem heißes Wasser durch die Filtertüte tropft. Wer möchte, kann eine weitere Plastikverpackung öffnen, in der sich ein Löffel, Weißer und Zucker befinden. Am Ende stehen dann Plörre und ein stattlicher Berg Abfall. Immerhin sortenrein: Alles Plastik.

Nach einigen astreinen Dirty-Dancing-Hebefiguren im Pool zu schief intoniertem „Time of my Life“ verlassen die Wandervögel als letzte Gäste das Reservat und fahren auf den Highway. Hier erwartet sie weite Öde: Die menschenleere rote Staubigkeit von Arizona, bis schließlich am Horizont die markanten Steinformationen des Monument Valley auftauchen. Die Wandervögel fahren rechts ran und mampfen im Angesicht der erodierten Steingebilde Käsebagel, dem Anlass angemessen mit Scheiben von Indianern angebauter und geernteter Gurken – wie Gott in Frankreich eben. Da die Indianer bei Bau der Interstate durch ihr Territorium nicht so gut verhandelt haben, führt die Straße direkt an den Felden vorbei. Kein Grund also, den gelangweilten auf Kundschaft wartenden Navajo Geld für eine exklusive Führung in den Rachen zu werfen. Haken dran, weiter gehts.

Viele Interstate-Meilen später kommen die Wandervögel am nächsten Naturschauspiel an: dem Horseshoe Bend. Hier umfließt der Colorado seit langer, länger, ganz langer Zeit eine Gesteinsformationen und hat so eine hufeisenförmige Form aus dem Stein geschält. In sengender Hitze bestaunen die Wandervögel die Natur, wenngleich eine Busladung unnatürlich exaltierter Italiener das Idyll nachhaltig stört. Ihre Mobiltelefone an Teleskopstielen montiert versuchen sie sich und das Schauspiel bildlich festzuhalten. Das Endergebnis sind Schnappschüsse mit debil grinsenden sonnenbebrillten abgeschnittenen Köpfen und ein zu tiefst genervter Wandervogel 2, der sich den Schrei ausmalt, wenn der Rädelsführer über seinen zufällig geplätteter Fuß in die Tiefe stürzte.

Als letzte Sehenswürdigkeit des Tages hat Wandervogel 1 in ihrem erbarmungslosen Reiseplan den Staudamm im Glen Canyon vorgesehen. Durch eine kolossale Mauer wird der Colorado hier zum Süßwasser-Reservoir Lake Powell aufgestaut, damit die Golfplätze im Nirgendwo auch immer schön grün sind. Im angeschlossenen Erlebnismuseum machen die Wandervögel den Nachhaltigkeitstest. Das sie die Frage „Wie oft ersetzen sie das Wasser in ihrem Pool?“ mit „Wir haben keinen Pool.“. beantworten, schließen sie den Test mit dem Prädikat „vorbildlich nachhaltig“ ab. Es kann so einfach sein, die Erde zu retten. Darauf noch einen Kaffee aus der Indianermaschine.

Supersized. USA 2018: Auf dem Kriegspfad

Nach einem knappen Käsebagelfrühstück schwingen sich die Wandervögel wieder auf die Interstate. Im Rückspiegel Williams vor ihnen die Vorfreude auf das Naturschauspiel Grand Canyon und die Ungewissheit, wie viel Wahrheit den Legenden über die endlos langen Warteschlangen vor dem Eingang innewohnt. Der einöde Weg zur Sehenswürdigkeit führt durch Indianerland. Entlang des Weges ganz viel roter Sand und blaßgrüne Sträucher, vereinzelte Bretterbuden und Wohntrailer, über deren originäre Farbe die Wandervögel nach Jahrzehnten der Winderosion nur noch spekulieren können. Aber wenn die Ureinwohner schon hausen, dann doch zumindest mit der passenden Untermalung. Ein Schild am Wegesrand wirbt für den lokalen Radiosender, der indigene Kracher spielt.

Tatsächlich haben die Wandervögel ausnahmsweise Glück und rutschen mühelos auf den Parkplatz des Nationalparks vor. Um auch den Faulen und Fettleibigen einen Zugang zur drittgrößten Erdspalte der Welt zu ermöglichen, pendeln Busse zum Rande des Erdlochs. Das Fahrpersonal, verflucht mit dem langweiligsten Beruf der Welt, versucht mit gequält witzigen Ansagen und dem mahnenden Klassiker „Bitte weiter durchgehen!“ die Sinnleere zu beseitigen und die Kundschaft zur Weißglut zu bringen. Die Wandervögel fahren bis zur Endstation und treten den Rückweg entlang des Canyons zu Fuß an. Tatsächlich beeindruckt die tief zerklüfteten vielfarbige Landschaft durch die sich der Colorado windet.

Allerdings verliert auch diese Attraktion nach vier Stunden Gewaltmarsch entlang des Abgrunds geringfügig an Reiz. So soll es mit dem Shuttlebus zurück zum Parkplatz gehen, doch aus der entspannten Rückfahrt wird nichts, müssen die Wandervögel ihre Sitzplätze doch für Mitfahrende räumen, die mit ihrer Fettleibigkeit Behindertenstatus erlangt haben. Aus Freude über die Sitzgelegenheit stoßen die Fleischberge mit einer Cola an, die der männliche kolossale Fleischberg unter seiner Fettschürze verborgen hatte. Sich die Beine in den Bauch stehend verfolgen die Wandervögel das gluckernde Spektakel mit Faszination und Ekel.

Da sich auch diesmal die Organisation von Wandervogel 1 als vortrefflich erwies, wird die Reiseleitung abenteuerlustig. Warum Zeit darauf verschwenden teure Herbergen im Voraus zu buchen, wenn man sich auch vor Ort die günstigen Rosinen picken kann? Gewagt, getan, geht es Richtung Monument Valley, das am Folgetag durchfahren werden soll. Der Plan sieht vor, auf dem Weg dann einfach in eines von zahlreichen Motels einzukehren, ein Bier, ein Steak, die Füße hoch oder in den Pool, die Seele baumelnd. Doch als sich die Sonne immer weiter über der menschenleeren Einöde von Arizona senkt und bald der Mond die schroffen Felslandschaften bescheint, erweist sich die Theorie als mausgrau.

Vorstellig in Tuba City (Posaunenhausen – kann sich keiner ausdenken, sowas) erwidert die Navajo-Rezeptionistin auf die Wandervogel-Frage nach dem Vorhandensein eines Zimmers und dessen Kosten, dass tatsächlich noch eines zu haben sei. Ha! Lachen sich die Wandervögel ob des Aufgehens ihres Plans in die Fäustchen. Doch das Lachen verstummt als die Squaw nachschiebt, dass sie dann schon ganz gerne 165 Dollar dafür sähe. Und Steuern. Und Bearbeitungsgebühren. Wortlos verstehen sich die Wandervögel und schreiten langsam rückwärts zum Ausgang der Lobby, um schließlich zum Auto zu stürmen und vom Hof zu rasen.

Da es nicht schlimmer werden kann, preschen sie weiter durch die Nacht; schließlich soll der nächste Ort drei Hotels bieten und ist nur schlappe 125 Kilometer entfernt. In stockdunkler Nacht kommen die beiden in Kayenta an. Geschätzt sieben Achtel der knapp 5.000 indigenen Einwohner lebt in Wohnmobilen oder schläft und vermehrt sich unter freiem Himmel. Das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Ortes ist der Parkplatz vor dem Supermarkt, an den Filialen von McDonalds, Burger King, Subways und Taco Bell grenzen. Auf der Ausfallstraße dahinter die Unterkunft der Wahl, an dessen Fenstern Schilder verkünden, dass man „fully booked“ sei. Seufzer.

Als letzte Optionen bleiben die einander gegenüberliegenden Motels, deren Tresenkräfte sich partout nicht auf einen Glasperlen- und Feuerwasser-Deals einlassen wollen, sondern auf 200 Dollar für eine Übernachtung pochen. Die späte Rache dafür, dass man den Ureinwohnern einst ihr Land abgeluchst hat. Und wer muss es ausbaden? Die Wandervögel. Ihren Ruin vor Augen bäumen sie sich ein letztes Mal auf und Wandervogel 1 fragt nach Frühstück? Ja, gäbe es, sei lecker, koste extra. Aber wenn sich die Wandervögel beeilten, dann dürften sie noch zehn Minuten im Pool schwimmen, bevor der schlösse. Oder sich eben ertränken.

Supersized. USA 2018: On the road

Vor den Wandervögeln liegt ein Fahrtag, denn der Grand Canyon liegt ungleich fußläufig vom Strand entfernt. Um auf der 700-Kilometer-Spritztour nicht zu verhungern, machen die Wandervögel einen Supermarkt ausfindig. Wie anstrengend das Einkaufen doch sein kann, denkt Wandervogel 2 und erinnert sich an die gute alte Zeit, die anbrechenden 1990er, als er halb ausgewachsen in weißem Kittel mit der Etikettiermaschine in der Hand im nördlichsten Magnet-Supermarkt Europas den Waren eindeutige Preise verpasste. Geschichte. Im Ralph-Supermarkt ist Mittdenken gefordert. Der ausgezeichnete Preis gilt nur für Inhaber einer Kundenkarte, unter Umständen nur bei Abnahme eines größeren Gebindes. Gültig für Fremdkäufer ist hingegen der mikroskopisch klein gedruckte Preis, zum dem die nicht näher ausgeführte Steuer addiert wird; gegebenenfalls auf dem gesamten Einkauf noch eine Servicegebühr. „How are you? Bar oder Kreditkarte? Have a nice day!“

Beladen mit Käsebageln und Wasserkanistern versuchen die Wandervögel L.A. zu entkommen. Dem entgegen steht die Verkehrshölle. Blinken gehört sich nicht und überholt wird gerne auch von rechts. Eingereiht in die Blechpolonaise quält man sich auf zwei Spuren je Fahrtrichtung von Ampel zu Ampel auf den Freeway. Trotz vier Spuren tritt hier keine Besserung ein. Hunderte kriechende Fahrzeuge, bestenfalls mit zwei Personen besetzt. Die Reisenden treiben, wie ein Blatt auf einem zähflüssigen Strom aus Chrom, Blech und irrwitzig überdimensionierten Motoren. Nach dem obligatorischen Ausflug in die falsche Richtung schaffen sie es auf die Interstate. Und als die Außenbezirke von L.A. schließlich im Rückspiegel verschwinden und sie den an Ausfahrten campierenden Obdachlosen zuwinken, da klappt es dann auch mit dem Verkehr.

Wenn man sich zuvor keine Gedanken gemacht hat – wie das bei Wandervogel 2 ja häufig der Fall ist – dann überrascht die Wirklichkeit. Endlos zieht sich die Straße durch das Nirgendwo, eine von Bergen einseitig eingefasste entmenschte und enttierte Leere. Einziger Zivilisationsindikator sind die Zäune am Wegesrand, denn auch das Nichts braucht Grenzen. Alle hundert Kilometer – von Meilen und Gallonen halten die Wandervögel nichts – halbiert sich das Verkehrsaufkommen, bis der Wandervogel-Nissan schließlich allein auf der Straße ist. Als einziger Begleiter schleppt sich in der Ferne ein Frachtzug über die Gleise. Im Schlepptau gezählte 82 Container, ein stählerner Bandwurm, der sich durch den Bauch des Landes kämpft.

Das ist also dieses Arizona. Aus Gründen der Gehörtsichkeit setzen die Wandervögel den Blinker und biegen auf die Route 66 ab. Tatsächlich zeigt sich hier schnell, dass der Klischee-Asphalt nach wie vor große Anziehungskraft hat, knattern den Reisenden doch Bärtige, die nebst Soziusperle helmlos auf ihren Harley Davidsons hängen entgegen. Wer schlecht im Kofferpacken ist, der nimmt hier alles mit und steuert den Wandervögeln im dreiachsigen vieltonnigen Wohnmobil entgegen. An der Anhängerkupplung der Pickup im Leerlauf, schließlich will man den Bäckergang nicht zu Fuß antreten. Am Wegesrand stellen findige Scherzkekse Schilder mit knappen Worten auf, die eigentlichen Botschaften erschließen sich erst bei aufmerksamer Lektüre im Gesamtzusammenhang. Im Endergebnis vielleicht wenig zielführend die Aufmerksamkeit Betrunkener auf das Abseits zu lenken um ihnen so mitzuteilen, dass sich Alkoholkonsum und Autofahrt nicht vertragen.

Die Endstation nach mehr als 700 Kilometern ist Williams, ein Möchtegern-Western-Furznest im Nirgendwo. Tatsächlich keine Stadt, sondern zwei Straßen, an denen ein Dutzend Motels für Grand-Canyon-Besucher ankert. Zum Verweilen lädt das örtliche Diner ein, in dem laut Aushang Schusswaffen ausdrücklich willkommen sind. Danke nein, lieber zum Mexikaner. Als die Wandervögel schließlich bei Nachteinbruch einkehren wollen, ist ihr Motel zappenduster. Einem an die Bürotür geklebten Zettel entnehmen sie den Grund für den verhaltenen Empfang: Der Besitzer liegt mit Endstadiumskrebs im Krankenhaus. Daher bitte selbst bedienen und den Schlüssel aus dem Briefkasten fingern. Bei Fragen dürfen sich die Wandervögel an die mexikanische Putzfrau wenden. Gespannt darauf, ob es sich um die Köchin der mexikanischen Gaststätte handelt, sinken sie ins überdimensionierte Bett.

Im Dorm: Mutantenstadl

Mein Bettnachbar zeichnet sich durch einen Gesichtsausdruck aus, der zu gleichen Teilen aus Übellaunigkeit und Leere besteht. Er spricht nicht und liegt zu jeder Zeit zwischen Plastiktüten und Schmutzwäsche aus seiner Matratze. Ich denke er ist Franzose. Irgendwas zwischen André und Michel – mit starker Tendenz zum Michel.

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