Im Dorm: Mutantenstadl

Mein Bettnachbar zeichnet sich durch einen Gesichtsausdruck aus, der zu gleichen Teilen aus Übellaunigkeit und Leere besteht. Er spricht nicht und liegt zu jeder Zeit zwischen Plastiktüten und Schmutzwäsche aus seiner Matratze. Ich denke er ist Franzose. Irgendwas zwischen André und Michel – mit starker Tendenz zum Michel.

Generell ist unter der männlichen Belegschaft des Dorms ein deutlicher Trend zur Verwarlosung zu beobachten. Der Brustbeutel und Tarnhemd tragende Chinese, der seine schlecht-gewaschene Leibwäsche neben fadenscheinigen Hemden aufhängt, hat ebenfalls eine deutliche Präferenz für das Vegetieren zwischen Plastiktüten und Nudelkrümeln.

Unter Frau Laster haust ein Olm der zu jeder Zeit eine Mütze trägt und dessen religiöse Vorgaben offenbar ein Verbot für die Benutzung von Decken einschließen. So zieht der Olm es vor sich zum Schlafen in das Spannbettlaken zu rollen wie eine Raupe in einen Kokon. Dieser liegt dann reglos auf der Matratze während Verpuppung und Metamorphose weiter auf sich warten lassen. Ich habe ihn – in wortloser Kooperation mit Michel – schwer als Herd der Bettwanzeninfektion in Verdacht, die uns heute nacht heimgesucht hat.

In der anderen Hälfte des Raumes schläft Nerdlinger. Seine Gardeobe besteht aus einer khaki-farbene. Bermuda-Short und einem farblich dagegen abgestimmten grünnschlammigen Polohemd. Die Unförmigkeit dessen Kragens spiegelt die Körperhaltung Nerdlingers wider. Sein bester Freund ist ein Acer-Mini-Laptop mit der durch absurd geformte Kopfhörer verbunden ist. So hält er rund um die Uhr Kontakt mit der Zivilisation und muss auch im Urlaub nicht aus dem Haus gehen.

Unter Nerdlinger schläft Romeo-Ramon. Unser indischer Freund heisst natürlich realweltlich völlig anders, aber sobald eine blonde Touristin nicht schnell genug auf die Bäume kommt, wirft er sein Charmenetz aus, fängt sie ein und schwallert sie dicht. Interessant hierbei wie sich seine Körperhaltung beim Einleiten des Balzrituals von Schwamm in Hengst wandelt.

Der Laster und Frau firmieren in der Fremdwahrnehmung möglicherweise als Adolf und Eva, teutonisch-wagnereske Invasoren, die mit deutscher Präzision ihre Betten straff beziehen und präzise drei Minuten lang die Zähne putzen.

Singapur, Schmelztigel der Kulturen.

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