Chop Chop. China 2017: Shanghait


Die Wandervögel setzen ein zweites Mail auf den silbernen Aal. Ein Fehler, denn die chinesische Bahn hat sich ob des Zuspruchs, den das Reisemittel findet entschlossen, sämtliche Reservierungen für Betten zu streichen. Um mehr zahlende Gäste in den Nachtexpress zu pressen, werden die 4er-Schlafabteile kurzerhand in 6er-Sitzwagen umgewidmet. Nix mit kippbaren Liegesitzen, auf der Pritsche hocken ist angesagt. Wer meckert, fliegt raus. Wer mitfährt durchlebt eine weitere Nacht der Schmerzen. Dann dämmert Shanghai mit seinen 24 Millionen Chinesen. Vierundzwanzig Millionen! Gehirnblutung.


Schnell zeigt sich jedoch, dass China nicht gleich China ist. Im Gegensatz zu den Pekinesen erscheinen die Shanghaie fasst zivilisiert. Gespuckt wird hier nur in Ausnahmefällen und nicht zum Spaß, die T-Shirts sind nunmehr lediglich selten dämlich bedruckt („Grow up never“), das Schuhwerk hat sie Anmutung von Badelatschen-Upcyling abgelegt. In der Lage, Reihe zu bilden und eine geordnete Abfertigung oder einen Verkehrsfluss zu ermöglichen, sind die Einheimischen allerdings auch nicht. Daher verwundert es um so mehr, dass sie in der Lage sind hohe Häuser zu bauen.


Der erste Ausflug führt die Wandervögel in den Stadtteil Tianzifang, vom Reiseführer für seine dutzenden Gassen gelobt, in denen Einheimische authentisches Kunsthandwerk veräußern; tatsächlich allerdings lediglich das berüchtigte maschinell gefertigte Kunsthandwerk made in China und überteuerter Eiskaffee. So machen die Vögel die Biege und gehen lieber zum Bund, die am Fluss gelegene Flaniermeile der Metropole. Von hier blickt man – im Rücken den Jugendstilprotz des Bankenviertels – auf architektonischen Größenwahn. Hunderte Meter hohe Wolkenkratzer, deren Formen an aufgespießte Oliven und Kapselheber erinnern; farblich derart aufeinander abgestimmt, dass ja keine Farbe zwei mal vorkommt.


Am zweiten Tag in der Metropole versuchen die Wandervögel sich am Idyll des lieblichen Yu-Garden zu erfreuen. Plätscherndes Wasser, vollgeschnitzte Pavillons und üppiges in Form geschnittenes Grün inmitten der geschäftigen Stadt. Doch all das kann leider die durch die Anlage schleichende deutsche Reisegruppe nicht aufheitern, die unter ihrem Reiseführer leidet. Jeder Stein und jeder Ast werden von ihm in akzentreichem Zeitlupendeutsch erörtert, so dass für die Studiosus-Truppe der Aufenthalt im Idyll zur Ewigkeit wird. Die Wandervögel machen die Biege und lassen sich vollregnen. Im Stadtteil Qibao suchen sie Unterschlupf, aber der historische Kern hat dann auch nicht viel Neues zu bieten, wenn man schon in Pingyao war – China kopiert sich selbst.


Als einziger echter Programmpunkt für den dritten Tag steht eine Fahrt auf den Shanghai Tower für das protzige Abschlussfoto auf dem Programm. Von allen anderen Attraktionen raten die Reiseführer ab: in Zoo und Aquarium siechen die Tiere in zu kleinen Quartieren vor sich hin und im Disneyland darf man bis zu drei Stunden anstehen, wenn man Karussell fahren möchte. Um sich nicht einen halben Tag sinnlos die Hacken abzulaufen, entschließen sich die Wandervögel zu einer Partie Room Escape. Ohne große Einführung durch das ohnehin wenig kundig wirkende Personal lassen sich die beiden in dunkle Räume einschließen, aus denen sie entkommen sollen. Leider weiß Wandervogel 1 mit ihrer Kraft nicht ganz hauszuhalten und nimmt das Inventar auseinander, dass eine Benutzung durch nachfolgende Spieler unmöglich wird. Hätten sie mal nicht mit China-Stahl geschweißt…


Und das wars dann auch schon mit der Herrlichkeit. Bei allem architektonischen Spektakel war Shanghai dann aus Abenteuer-Perspektive eher unterwältigend. Als Anekdoten taugen allenfalls die erbärmlichen Versuche der Chinesen, französische Bäckereien zu kopieren, in denen das Personal mit Baskenmützen und gestreiften Hemden versucht, „Spezialitäten“ wie Weißbrot mit eingebackenen Würstchen und Ketchup-Soße zu verkaufen. Oder vielleicht der auf Messebesuch Station machende Philipino, der in der Herberge die Gitarre von der Wand nahm, um den Wandervögeln eine Dreiviertelstunde lang Classic-Rock-Titel anzuzupfen und schief zu intonieren. Oder der Versuch die Einheimischen mit der weltbesten Metapher (Wandervogel 1: „white ketchup“) erfolglos um Mayonnaise zu bitten. Ab in den Transrapid und ab nach Hause.

2 Gedanken zu „Chop Chop. China 2017: Shanghait

  1. Fazit? China ist groß, schmutzig, anstrengend und Scheisse. Ihr habt wegen der Größe des Landes und der fehlenden Zeit und Erfahrungen die Schönheiten vielleicht nicht ganz sehen können. Aber ich kann versichern, es gibt sie. Gute Heimfahrt. Torsten

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