Da eine Pandemie nachweislich nicht dazu in der Lage ist, die Wandervögel von ihren Abenteuern abzuhalten, schafft das auch ein Nachwuchs nicht. Wenngleich
Wanderküken 1 das Niveau merklich in die Höhe schraubt, gilt es doch neben Klamotten und Alltagsutensilien auch Kinderwagen und Spielzeug im babybeschalten Wandervogelmobil zu verstauen. Schließlich scheint es, als reklamiert das Küken mit seinem Gebimsel mehr Platz als die Reiseleitung. Eingepfercht zwischen Säugling, Sack und Pack rollt das Trio auf die Autobahn. Wohin soll das bloß führen? In den Harz natürlich. Mekka junger Familien, Paradies der Naturliebhaber, Valhalla rüstiger Rentner.
Hasenbrote und Möhren mümmelnd brettert das Trio gen Süden. Vorbei an hunderten LKW, deren Planen hirnerweichende Kalendersprüche zieren, während das Küken friedlich schlummert. Beim ersten Stop nach drei Stunden zeigt die bis dato völlig belanglose Reise erste Wandervogel-Style-Qualitäten: Genüsslich verinnerlicht sich Wandervogel 2 ein Reststück des vortäglich gebackenen Pflaumenkuchens, nur um beim zweiten Bissen festzustellen, dass in der Mundhöhle nichts ist wie zuvor. Zum Glück erwiesen sich Kunststofffüllungen in der Vergangenheit als wohlbekömmlich. Also eine Woche rechts kauen und hoffen, dass eine dentale Kettenreaktion ausbleibt.
Die Destination Wernigerode begrüßt mit einem Industriegebiet, dominiert von einer Brauerei, die wiederum die Gastronomie des Ortes dominiert. Es könnte schlimmer sein. Alsbald übergibt die Industrie an die Tradition und eine Fachwerksexplosion ballert den Wandervögeln in die Optik. In der Innenstadt reiht sich Gemäuer an Gemäuer, wenngleich der Charme 500 Jahre alter Handwerkskunst sich nicht so recht mit dem modernen Innenleben in Einklang bringen lassen will. So passieren die drei Wanderer dutzende Schuhläden und Spezialitäten-Manufakturen die vakuumisierte Wurstwaren und Schnäpse feil bieten. Schlimmer noch ist das motivische Band, denn alle Produkte weisen einen namentlichen Bezug zu Hexen oder dem Teufel auf. Wie überaus originell.
Die geschmackliche Krönung schlägt am Ende des Ortes ins Gesicht: hier ragt das Wernigerode-Eye in den Himmel. Umgeben ist das gemächlich seine Kreise ziehende, Riesenrad von einem urigen Rummel – Softeis und Zuckerwatte inklusive. Die ihrer Freude über diese Unterhaltung in glucksenden Lauten Ausdruck verleihenden Menschen, lassen Wandervogel 2 misstrauisch werden. Hier scheint etwas nicht zu stimmen. Die zahllosen schlecht gefärbten Frisuren verstärken den Eindruck, der sich zu einer unheilvollen Befürchtung verdichtet. Die Gewissheit schlägt wie üblich unvorbereiteten und geografisch unkundigen Wandervogel 2 schließlich mit all ihrer Wucht die Brille aus dem Gesicht, als das Trio das mdr-Regionalstudio passiert: Sie befinden sich im Osten!
Schön, dass die Wandervögel sich auch von Wanderküken 1 nicht abhalten lassen, die große weite Welt zu erkunden. Da ihr das Wanderküken schon nummeriert habt, freue ich mich schon auf Wanderküken 2!
Besser für den Fall der Fälle gleich mitdenken, bevor später das ganze System kollabiert. Und ja: Was die Wandervögel aufhält, muss noch erfunden werden.