Alles geht einmal zu Ende, auch die erste Reise mit dem Wanderküken. Für das Finale haben sich die Wandervögel etwas ganz Besonderes aufgespart, ein Weltkulturerbe! Erfahrene Mitreisende wissen, wo Weltkulturerbe drauf steht, da sind Wandervögel drin und so machen sie sich auf nach Goslar. Vor Ort stellt sich allerdings heraus, dass der zuständige Sachbearbeiter bei der UNESCO während der Bearbeitung des Vorgangs abgelenkt gewesen sein muss, denn statt eindrucksvoller Besonderheit sehen sich die Wandervögel mit Bausünden konfrontiert. Die Erdgeschosse der Fachwerkbauten haben Irre aufs Schlimmste nachkriegssaniert, das Mittelalter beginnt hier erst im ersten Stock. Doch die unsinnige Architektur scheint ihre Fans zu haben, denn Horden rauchender Menschen schieben sich durch die Fußgängerzone. Überhaupt scheint hier alles und jeder zu rauchen und so wandelt das Trio in einer stinkenden Wolke durch Hässlichkeit.
Doch Goslar weiß seine Kundschaft zu bedienen. Das Jungvolk deckt sich mit Alpha Industries ein, die Mamas kaufen für die Papas im Camp-David-Flagship-Store, die Rentner humpeln in den Tredy – es ist die Modehölle. Die Wanderer treten die Flucht nach vorne an und machen sich auf in Richtung der Abzucht. Dicht an dicht drängen sich hutzelige Häuschen entlang des Ocker-Nebenflusses, jedes mit einer Brücke an das hier menschenleere Kopfsteinplasterstraßennetz angebunden. Die barock-symmetrische Kaiserpfalz – Hitler ließ sich hier gerne fotografieren – lassen sie links liegen, nur um in eine Horde von 40 Sprallos zu rennen. In Goslar sind die Reichsbürger los und fordern unter Einsatz billigster Lautsprechertechnik, in Bollerwagen und mit Transparenten die Abschaffung der Bundesrepublik. Anstatt sie zu verprügeln, passt die Ordnungsmacht gut auf sie auf.
So ist Goslar nach drei Stunden durchgespielt, der Tag jedoch erst halb rum. Erneut muss die Reiseleitung improvisieren und zaubert eine weitere Destination aus der Bluse: Enter Bad Harzburg. Schnell zeigt sich, dass die Legende wahr ist. Sie befinden sich an jenem Ort, den die Rentner zum Sterben anströmen. Zwischen Sole-Therme und jeder Menge Cafés, in denen man sich von morgens bis abends Sahnetorte zwischen die dritten Zähne schieben kann, warten sie auf das letzte Röcheln. Das Kaffee-Gedeck besteht aus Kännchen, Schwarzwälder Kirsch und einem Zigarillo. Auch der Einzelhandel ist auf die Zielgruppe eingeschossen, so setzt der Schuhdiscount voll auf die Creme-farbene Palette und der Ausstatter für Damen und Herren in unmittelbarer Nähe füllt seine Auslage mit Schultergepolstertem. Leben am Limit. So steht es auf den Stelen im Heilbad.
Doch beim Flanieren ist höchste Vorsicht geboten, denn alle Pensionäre sind bewaffnet. Die Spanne reicht von Teleskop-Wanderstöcken über Krücken bis hin zu scharfkantigen Rollatoren. Die coolen Kids unter 75 Jahren hängen im Kurpark ab, in den das Trio ehrfurchtsvoll eintritt. Hier hat die Natur ihre Ordnung. Rasenkanten, die ihren Namen verdienen und farblich sauber getrennte Blühpflanzungen verströmen die Illusion, dass alles seine Ordnung habe. Bisweilen durchschneiden schrillende Nokia-Klingeltöne die Ruhe, doch am Ende siegt der erdrückende Biedermeier des sattgrünen Zierrasens. Weiter weg von Abenteuer geht es nicht. Für die Wandervögel das Zeichen zum Aufbruch. Mit einem leisen Schnarchen auf dem Rücken schleichen sie sich davon. Es ist noch keine Zeit zum Sterben. Auf Wiedersehen, Harz.