Lujasogi. Bayern 2020: All over now

Auf Wiedersehen, Haxn. Auf Wiedersehen, Schäuferla. Auf Wiedersehen, Zugspitze. Wer die Reise durch die exotischen Ecken der Republik noch mal mitmachen möchte, findet hier alle Beiträge in chronologischer Reihenfolge:

Lujasogi. Bayern 2020: Ab in den Osten
Lujasogi. Bayern 2020: Last Exit Pfaffenstein
Lujasogi. Bayern 2020: Auf der Asia-Alm gibt‘s a Massage
Lujasogi. Bayern 2020: Kein Hitler, kein Essen
Lujasogi. Bayern 2020: Vom Gipfel in die Klamm
Lujasogi. Bayern 2020: Die geteilte Stadt
Lujasogi. Bayern 2020: Irre in der Irre
Lujasogi. Bayern 2020: Enter the Oberstdorf
Lujasogi. Bayern 2020: Gescheitelter Weihnachtskitsch

Lujasogi. Bayern 2020: Gescheitelter Weihnachtskitsch

Bayern ist durchgespielt. Berge, Berge, Berge. Klamme, Klamme, Klamme – Es reicht den Wandervögeln mit der exotischen Natur und den allerorten viel zu weichen Betten. Weil es jedoch Wahnsinn wäre, die mehr als 900 Kilometer in einem Rutsch zu fahren, stöbern sie nach einem ansehnlichen Zwischenziel. Augsburg ist zu nah, Nürnberg zu groß und so fällt die Wahl auf Rothenburg ob der Tauber, das Wandervogel 2 als eine Studentenstadt von Heidelberg-artiger Hutzeligkeit im Hinterkopf hat. Gesagt, gebucht und ab dafür. Kurze Zeit lotst der Bordcomputer die Reisenden durch das Stadttor und die Kopfstein gepflasterte Altstadt. Zum großen Entsetzen der Durchfahrenden ist die Stadt ausgestorben. Doch wenn sie schon mal da sind und quasi Weltkulturerbe drauf steht, steigen die Reisenden immerhin aus.

Bambergisch mittelalterlich gibt sich die winzige Stadt, die tatsächlich so winzig ist, dass sie wider Wandervogel 2s Erwarten gar keine Universität besitzt. Diesen Makel versuchen die Einheimischen mit Unsinn-Läden zu kompensieren. Die Stadt geht steil auf Teddybären und Weihnachtskitsch. Wie es die augenscheinlich aus Asien stammenden Touristen durch die Corona-gesperrten Grenzen in den Käthe Wohlfahrt-Stammladen geschafft haben, fragen sich die Wandervögel. Da ihr Asiatisch allerdings nicht konversationstauglich ist, müssen sie rätselnd von dannen ziehen. Vorbei an zahllosen Birnbäumen wird in Schaufenstern von Backwarenfachgeschäften fortlaufen die vermeintliche Spezialität ‚Schneeballen‘ angepriesen, der die Wandervögel auf den Grund gehen müssen.

Bei den an Nachbildungen von Hundehirnen erinnernden Produkten handelt es sich um profanen in Fett gesottenen und mit Puderzucker bestäubten Mürbeteig. Eine ingesamt staubtrockene Enttäuschung, von denen sich jedoch jeder Besucher mindestens eine hineinzwängt. Kulinarisch unbefriedigt marschieren die Wandervögel entlang der Stadtmauer, lassen den Blick über die Tauber schweifen und versprühen bei jeder Lautäußerung einen feinen Regen trockener Mürbeteig-Krümel. Nichts vermag die Weltreisenden hier länger als drei Stunden zu halten und, da der Tag erst halb rum ist, beschließen sie ihre Zelte abzubrechen, bevor sie Heringe und Gummihammer überhaupt auf dem Kofferraum geklaubt haben. Vielleicht kann Würzburg ja mehr?

Tatsächlich wirkt die Stadt mit dem bescheuerten Namen beim Einfahren weit weniger Provinziell. Hier trifft historische Bausubstanz im Herzen auf Hannoveraner Nachkriegsbeton in der Proximität. Unter permanenten Glockengeläut erkunden die Wandervögel die Residenz der Bischöfe, die sich hier einst die Taschen voll gemacht haben. Leider haben die pompösen aber geschmacklosen Geistlichen sich ihren Palast vom perrückten Balthasar Neumann zimmern lassen. In langweiligster Barock-Symmetrie thront das Gemäuer über einen gewaltigen Parkplatz und beschützt seinen nicht minder langweiligen Residenzgarten, bei dem man sich nach der Besichtigung der einen Hälfte die andere auch ohne ausgeprägte Vorstellungskraft gut denken kann.

Die Einheimischen greifen die Bamberger-Tradition des ‚Brückensaufens‘ auf und schrauben sich auf einer Karlsbrücken-Immitation über den Main die fränkischen Reben Bocksbeutelweise in die Schädel. Angesichts solch niederer Auslassungen beschließen die Wandervögel, dass es an der Zeit ist, sich vom Frankenland zu verabschieden. So kehren sie ins rustikale Wirtshaus Lämmle ein und ordern Deftiges. Der undeutlichen Aussprache von Wandervogel 2 mag es geschuldet sein, dass er statt des bestellten Schollenfilets ein Schäuferla serviert bekommt, aber am letzten Abend soll alles mit knusprigem Fett und Klößen recht sein. Und so wird dann spätestens zum Nachtisch alles gut, als Wandervogel 1 nun endlich, endlich, endlich ihren lang erwarteten Apfelstrudel mit Vanilleeis serviert bekommt. Das Glück kommt zu dem, der warten kann.

Lujasogi. Bayern 2020: Enter the Oberstdorf

Endlich: Das Allgäu. Weil „Urlauber“ den Wandervögeln fortlaufend vom Allgäu vorschwärmten, wählen sie das ‚Urlaubsparadies‘ Oberstdorf als ihre nächste Destination. Eine seltsame Ortschaft, deren Parkplatzdichte – zumindest die, der legitimen Abstellmöglichkeiten für motorisierte Fahrzeuge – zu den geringsten in der Republik zählen dürfte. Genau wie die Lage, denn viel südlicher geht kaum, knapp 1.000 Kilometer von der dänischen Grenze entfernt. Die Heimat in weiter Ferne. So händigt der Herbergsvater – Vermieter dutzender Tinyhouse-Appartements, in denen die Wandervögel gefühlt im Bett kochen, auch eine Ausnahme-Parkgenehmigung für den Kirchplatz aus. Extra für Pendler… mit Kieler Kennzeichen. What could possibly go wrong?

Im Schatten der Berge stellt sich Oberstdorf als eine spießige Hölle heraus. Die Ureinwohner sind fortgezogen und überlassen Tages- und Wochendgästen ihre Behausungen. Als letzte Zeugen alten dörflichen Glanzes behauptet sich eine familiengeführte Fleischerei zwischen Ramschläden, deren feil gebotene Schnorchelausrüstung ihren Weichmacher-Geruch durch die Fußgängerzone verströmt. Immerhin scheint der Ort ein Mekka der Sportbekleidung in gedämpften Farben. Entsprechend schieben sich Silberlocken um die Ecken, getrieben von der Sucht nach Teleskopwanderstock-Schnäppchen. Die Wandervögel flüchten nach vorne in die Natur.

Auf dem Tagesprogramm steht „die tiefste Felsenschlucht Mitteleuropas“. So verkauft die Reiseleitung Wandervogel 2 zumindest die Breitachklamm, die sich als Iller- und Donau-Zufluss damit brüstet, bis in das Schwarze Meer zu führen. Auch hier hat die grassierende Seuche eine Einbahnregelung zur Folge, die auf dem Rückweg in die Berge führt. Latsch, latsch, latsch, fließ, fließ, fließ. Immer wieder Klamm, als würde man in der Heimat versuchen, das Wattenmeer vier Mal als separate Attraktion zu verkaufen. Im Anschluss an das Klamm-Gewander, wittert Wandervogel 1 ihre Chance, endlich, endlich, endlich in einer Alm-Gastronomie ihren authentischen Apfelstrudel zu bekommen. Doch das Bestellte und das was die Convenience-Sklaven in luftiger Höhe als frisch zubereitete Backtradition servieren, liegt dann doch sehr weit auseinander.

Unter dem Gebimmel grasender Wiederkäuer geht es zurück ins Tal. Die Wandervögel kommen zu dem Schluss, dass die Südspitze der Republik außerhalb der Skisaison nichts mehr zu bieten hat und die Selbstbezeichnung der Oberstdorf-Region als „Urlaubsparadies“ so angemessen ist, wie die Ceaușescus als „Menschenfreund“. Aber Reisen ist eben nicht ‚Urlaub machen‘, sondern die Welt verstehen und dazu gehört auch die Erkenntnis, dass irgendwann – spätestens wenn Wandervogel 2 bei der Vorstellung noch eine Klamm durchschreiten zu müssen einen Amoklauf androht, aus Spaß Ernst wird und Bayern durchgespielt ist. Time to say goodbye, Oberstdorf.

Lujasogi. Bayern 2020: Irre in der Irre

Wie der letzte Tag endete, beginnt der nächste: Balkon-Brotzeit während GaPa zum Leben erwacht. Noch kauend verladen die Wandervögel ihren Kladderadatsch in das Reisegefährt und machen sich durch den Ort zur nächsten Sehenswürdigkeit. Vorbei an einer liebenswerten Eigenart der Eingeborenen: Der Bauzaun vor dem örtlichen Gymnasium ist geschmückt mit Bettlaken voller elterlicher Glückwünsche an Laura, Anna-Marie & Co., die in bemüht witzigen aber tatsächlich unbeholfen peinlichen Botschaften den Nachwuchs auf den letzten Metern ihrer schulischen Karriere motivieren sollen. Geringfügig interessanter, aber nicht minder unbehaglich ist der sommerliche Anblick der Skisprungschanze, wobei vor allem das verfallende Nazi-Stadion – neben dem ausbleibenden Schnee – den Eindruck schmälert.

Doch statt hoch hinaus, zieht es die Wandervögel tief hinab. Wandervogel 1 hat die Partnachklamm auf die Agenda gehoben, der sei mit 700 Metern auch ‚schön kurz‘. Ist die Kürze der Klamm unbestreitbar, sorgen unerklärte Maßnahmen dafür, dass die Sehenswürdigkeit nicht angefahren werden darf. So quetscht sich ein Gewaltmarsch auf Asphalt in das Programm. Pandemie-bedingt wird das Naturwunder zur Einbahnstraße. Für den Rückweg dürfen die Gäste sich einen der zahlreichen Wanderwege aussuchen. Allerdings ist sogar das Tierheim besser ausgeschildert als der Weg zurück zum Parkplatz. Im Angesicht von Wochenend-Vätern, die ihren Nachwuchs dazu animieren im Klammbett Zen-Pyramiden aus Flitsch-Steinen zu errichten, um Kleinstlebewesen ihrer Biotope zu berauben, entscheidet Wandervogel 1 über den Rückweg. Eine folgenschwere Entscheidung.

So geht es durch den Wald, den Berg hinauf, den Berg hinunter – zumindest was für die Flachland-Stämmigen so Berge sind. Das Wasser wird knapp und knapper und auch die Brotzeit aus geschälten Möhren und Weintrauben verringert sich in ihren Umfang, dass bald der Boden der Brotdose sichtbar wird. Doch kurz vor dem Verhungern beflügelt ein Wegweiser die Gemüter, der in der Nähe die ‚Eiserne Brücke‘ ausweist. Da die Wandervögel ‚Brücke‘ mit ‚Zivilisation‘ konnotieren‚ entscheiden sie sich den entsprechenden Weg einzuschlagen. Nur um nach einigen Kilometern festzustellen, dass die bescheuerte Brücke quer über die Klamm führt und sie dem rettenden Ausgang keinen Zentimeter näher gebracht hat. Im Gegenteil.

Weitere Hoffnung schöpfen sie, als ihnen Menschen begegnen. Die Hoffnung verfliegt, als die Menschen die Wandervögel nach dem Weg fragen. Immerhin haben die Menschen keine langen Bärte und wirken nicht unterernährt, sodass die Wandervögel die Hoffnung auf die Zivilisation im Herzen aufrecht erhalten. Unverhofft erscheint aus dem Nichts eine weitere Wegweisung, die auf eine Seilbahn hindeutet. Mehr Zivilisation geht nun wirklich nicht. Das Meisterwerk der Ingenieurskunst befindet sich hinter dem abgelegensten Wellness-Hotel der Republik. Doch der Jubel über das Erreichen der vermeintlichen Rettung bleibt den Wanderern in der Kehle stecken. Eine ansehnliche Menschentraube hat sich vor der Einlassstelle gebildet und die Graseckbahn rühmt sich damit, die „älteste Kleinkabinenbahn der Welt“ zu sein. Im Klartext bedeutet das, dass das Gefährt bei zwei Personen ihr Limit erreicht, sodass die Wandervögel sich eine gute Stunde grummelnd die Beine in den Bauch stehen, bis sie an der Reihe sind.

Zum Lohn für ihre Qual gönnen sich die Wandervögel zurück am Ausgangsort eine Fahrt mit der Sommerrodelbahn. Die Jahrmarktsattraktion wird, ob der maximalen Zuladung von 100 kg einzeln besetzt. Der Rodel mit Fahrgast schraubt sich mit schneckenhafter Geschwindigkeit über eine Schnecke in beachtliche Höhe, nur um Gefährt nebst Fahrer dann in den Tod (hier: die Bahn) zu entlassen. Trotz aller Lebensverachtung schafft es der vorfahrende Wandervogel 2 nicht, sich selbst samt Rodel aus der Bahn zu schießen und so kommen die Rodelnden schließlich, mit in den Nacken gedrückten Gesichtszügen, wenig später am Ende der Piste an. Das Ende der Piste soll dann auch das Ende von GaPa sein, Wandervogel 1 klemmt sich hinter das Lenkrad und setzt den Kurs nach Oberstdorf.

Auf dem Weg zur Destination ist ein kleiner Umweg geplant. Da Wandervogel 2 massiv mit fadenscheinigen Argumenten gegen den Besuch des verkitschten Märchenschlosses von Ludwig II protestiert, gibt die Reiseleitung um den lieben Friedens Willen nach – besteht jedoch auf einem drive-by-shooting. Doch die Naturgewalten sind gegen das Vorhaben, denn sintflutartige Regenfälle ergießen sich und hüllen Neuschwanstein in dunkle Schleier. Auch alle Versuche zum Foto-Spot der Wahl, der Marienbrücke vorzudringen, scheitern, sodass die Reisenden schließlich das Schloss Schloss sein lassen und davon brausen. Ob des weiteren Fahrtweges gibt es kurz Unstimmigkeiten, weil sich die zweiköpfige Reisegruppe nicht darauf verständigen kann, ob sie über Oberammergau oder über Unterammergau fahren soll. Tatsächlich entscheidet schließlich die Vernunft und sie nehmen den kürzesten Weg während sie den schmalzigen Klängen des Ludwig-Musicals lauschen.

Lujasogi. Bayern 2020: Die geteilte Stadt

Nach erfolglosem Abendbrot-Einsatz durchstreifen die Wandervögel GaPA am Folgetag auf der Suche nach Frühstück; insbesondere Partenkirchen, das sich etwas von seinem früheren handwerklichen Glanz erhalten hat. Hutzeliges Fachwerk und Kopfsteinpflaster in der Ludwigstraße, das Legionen von zu E-Mountainbikern mutierten Urlaubern durchbrettern. Sehr zum Unbill älterer einheimischer Damen, von denen eine mit klaren Worten darauf aufmerksam macht, dass Radfahrende in der Fußgängerzone nichts zu suchen haben: „Steigt‘s ab verdammt. Verdammt! Steigt‘s ab! Scheiss-verdammte Radfahrer, Verdammte!“. Mit dem Gehstock-Schirm fuchtelnd unterstreicht sie ihren Unmut, verfehlt die Ordnungswidrigen jedoch knapp.

Garmisch indes stellt sich als häßliche Schwester heraus, durch deren Herz sich eine austauschbare Einkaufsstraße mit uninteressanten Flagship-Stores zieht. Wohl dem, der Schöffel-brandy ist oder Trachten chinesischer Manufaktur kaufen möchte, wehe dem, der Authentizität sucht. Mit einem Kaffee und einem Brötchen in der Hand machen sich die Wandervögel auf den Weg zur eigentlichen Attraktion der Gegend. Mit der Gletscherbahn geht es auf den höchsten Berg des Landes. Der Barrierefreiheit geschuldet, tummeln sich selbst auf der Zuspitze die eher matt bewatteten Leuchten der Spezies. Der reduzierte Sauerstoffgehalt sorgt dabei nicht zu einer Steigerung der sozialen oder irgendeiner erkennbaren Kompetenz.

Die Wandervögel versuchen sich bestmöglich am Alpenpanorama zu ergötzen und durch das Observieren der Mutigen, die durch den Schnee zu Gipfelkreuz und zurück schlittern, zu erheitern. Mit der Seilbahn geht es eine Station tiefer, wo die Wandervögel durch den Schnee stapfen und zielstrebig die Zipfelbob-Bahn ansteuern. Den Minderjährigen das Fahrgerät abspenstig machend, kacheln die Reisenden die Piste zwischen den Schneeraupen hinab. Wie üblich löst Wandervogel 2 ein Ticket für Selbstüberschätzungsexpress und beschließt, es den verbleibenden Kindern gleich zu tun, die die seitliche Todesrampe mit Todesbuckel hinabschießen. Ähnlich ungrazil wie beim Einstieg in den azoreanischen Atlantik landet der Reisende nach sehr sehr kurzem Flug auf dem Steiß, während der von ihm befreite Zipfelbob eine deutlich bessere Figur macht.

Um auch wirklich alles mitzunehmen, soll die Talfahrt mit der Zugspitzbahn erfolgen. Große Pleiten werfen ihre Schatten voraus, denn wie die Deutsche Bahn ist auch der betreibende Freistaat nicht in der Lage, pünktlich abzufahren. Statt der erwarteten romantischen Talfahrt mit Alpenpanorama-Blick und Zahnradgeräuschen geht es dann 25 Minuten lang stumpf und bei schummriger Beleuchtung mitten durch das Gestein. Entgegen der ersten Euphorie nach dem Ritt durch die Dunkelkammer, noch zu weiteren Attraktionen aufzubrechen, entscheiden sich die Wandervögel dann doch zur Einkehr. Brotzeit auf dem Balkon mit Blick auf die Deutsche Bank und schneebedeckten Bergen am Horizont. GaPa, korruptes Idyll mit Eibrot.