Supersized. USA 2018: Pommes am Strand

Wenn die Wandervögel schon mal einen Tag in L.A. sind, wollen sie diesen bestmöglich nutzen. Es stellt sie jedoch vor die Herausforderung, dass die olle Metropolregion so weitläufig ist, dass ohne Auto nichts zu erreichen ist und die Destinationsoptionen meist Fahrtstunden auseinander liegen. Zum Glück fallen zahlreiche Attraktionen durch das knallharte kombinierte Preis/Leistung/Interessen-Sieb, schließlich schenkt man nicht jedem um Aufmerksamkeit heischenden Schrott seine Lebenszeit. So landen die überteuerten Touristentrecks durch die Filmstudios ebenso auf der Streichliste wie ein Besuch in der wolkenkratzigen Downtown mit der Micky-Maus-Oper, eine Bergtour zum Hollywood-Schriftzug oder eine Bustour zu den Domizilen der Stars, die gut daran verdienen ihre säulengesäumten Leichtbaupaläste tageweise an Pornoproduzenten zu vermieten.

Stattdessen machen die Wandervögel, was sie auch in der Heimat bei jeder sich bietenden Gelegenheit tun: sie werfen Sack und Pack in den Kofferraum und fahren an den Strand. Im Schneckentempo hangelt man sich von Ampel zu Ampel, Einsatzort ambitionierter Kleinstunternehmer, die auf Pappschildern mit kecken Wortspielen versichern, dass sie zwar Pleite („broke“), aber sie deswegen noch lange keine gebrochenen („broken“) Persönlichkeiten seien. Würdevolles Betteln in Beverly Hills, wo sich auf dem Rodeo Drive Maserati-Fahrer darüber ärgern, dass die zahlreichen Hermes-Tüten der Geld verprassenden Ehefrau nicht in das Gefährt passen wollen. Hätte er mal ein Nissan gekauft, da passt was rein, wissen die Wandervögel und brausen zur nächsten Ampel um schließlich nach einer Stunde erfolgreich die 14 Kilometer bis zum Stadtteil Venice zurückgelegt zu haben.

Die Wandervögel parken ihren Mittelklasse-Kreuzer vor dem größten Bio-Supermarkt der Stadt; tatsächlich weht hier in Küstennähe ein anderer Wind. Hier achtet man auf sich und seine Ernährung und lässt sich den pfleglichen Umgang mit dem selbst auch gerne etwas kosten. Für die bei zunehmendem Vollmond angerührte Kugel Bio-Manufaktur-Eis im Recyling-Pappbecher sagt die kunstvoll unrasierte Tresenkraft 4.50 Dollar an. Das ist zumindest für 20 Eishungrige, die eine ordentliche Schlange entlang der Hauswand bilden, annehmbar. Der Weg zum Strand ist gesäumt von allerlei Kunsthandwerks-Kokolores, Wahrsagern, Kraftkristall-Geschäften und Einrichtungshäusern mit Fokus auf skandinavischen Nippes – im Angebot die 50 Dollar Wurzelholzbürste für den dedizierten Anwendungsfall die Biobagel-Krümel aus der Laptop-Tastatur zu putzen.

Lässig an ihre politierten Fahrzeuge gelehnt, posieren die sonnengegerbten Dorfsheriffs an den Strandaufgängen und geben den Ton für das vor, was entlang des vier Kilometer langen Sandmeer gespielt wird: Karneval der Selbstdarstellung. Im Strom der Touristen badet man stöckelnd in nuttigem Unterwäsche Outfit oder mit breitkrempigem Zuhälter-Hut und Zerkauter Zigarre im Wundwinkel. Dutzende minder oder untertalentierte Kleinstkünstler versuchen entlang der Flaniermeile ihre Airbrush- und Acrylwerke zu verkaufen, bieten Reinigungen der Aura oder ganz verzweifelt schlechte Ratschläge zum Preis von einem Dollar an. Immerhin lässt das Aussehen des Anbieters den Rückschluss zu, dass er sein Geschäft versteht. Neben ihm auf der Beton-Bank ein Obdachloser, der Passanten mit vom Schreien heiserer Stimme anbrüllt, sie sollen „out of his fucking way“ gehen.

Stilsicher ordert Wandervogel 1 sich eine Schale Pommes, ertränkt diese um nicht aufzufallen in Ketchup und lässt das geschäftige Treiben auf sich wirken. Auffällig aber eigentlich nicht weiter rätselhaft ist die große Zahl Obdachloser, die sich entweder im Schatten der Palmen durch das Brabbeln von Monologen die Zeit vertreiben oder sich rappelvoll, mit dem Gesicht in den Sand fallen lassen und auf das Versinken der Sonne warten. Doch bis dahin ist es noch lang und so inspizieren die Reisenden die zahlreichen Freiluft-Sportstätten. Blondgelockte Sechsjährige schießen auf ihren Skateboards durch betonierte Bowls, der Oberbekleidung befreite Halbstarke werfen Bälle in hochhängende Körbe und – sehr zur Freude von Wandervogel 1 – knackige Boys stählen am Muscle Beach ihre abdominalen Muskeln.

Unter dem Knattern von Werbebanner durch den Himmel ziehenden Propellermaschinen schleppen sich die Wandervögel mit mittlerweile schweren Füßen bis an den im Norden anschließenden Strand von Santa Monica. Auf einem in den Pazifik ragenden Holzbohlen Pier vertreibt sich das vergnügungssüchtige Volk auf dem Riesenrad und beim Dosenwerfen die Zeit. Weniger unterhaltsam scheint der Besuch für einen Dreijährigen verlaufen zu sein, der in Ermangelung seiner Mutter bei der Ankunft der Wandervögel den Laden zusammenplärrt. Doch bevor die teutonische Spezialeinheit die Ermittlung im Handumdrehen hätte abschließen können, nehmen sich drei von Mutterinstinkten überwältigte einheimische Möchtegern-Ermittlerinnen erfolglos der Sache an. Nach einer Viertelstunde erfolglosen Muttersuchens verlieren die Zaungäste das Interesse an dem Familiendrama und lassen sich lieber vom munter im Wasser herumspaddelnden Seehund unterhalten. Tagesausklang bei Wellen und sinkender Sonne.

Supersized. USA 2018: Enter the La La

Aller Anfang ist Warten. So auch beim jüngsten Abenteuer der Wandervögel, das sie an die Westküste der U.S.A. verschlagen soll. Die Wartezeit auf Abflug vertreiben sich die beiden am Helmut-Schmidt-Flughafen mit dem Studium der sie Umgebenden. RTL2 hat seine Schleusen geöffnet und den Inhalt des Hirnlosenrückhaltebeckens ausgespien. Die vollbärtige Undercut-Saufvereinigung “Schwarze Katze” glüht mit Jim Beam Cola vor und auch die Mädelsabend-Clique, die rein optisch mehr Abend als Mädels sind, dreht mit Piccolo und Dosenprosecco an der Stimmungsschraube. Bevor die um die Krone der guten Laune konkurrierenden Teams starten gibt es noch Stulle. “Ich hab Salami? Wer will Salami?” “Ist das Diät?” “Ich Speck und Käse!” Selten wurde eine große Wahrheit beiläufiger ausgesprochen.

Die sich zu zehrenden 16 Stunden akkumulierenden Flüge beginnen mit einer absurden Ansage. Als Zeichen des Guten Willens solle man doch bitte während der Flüge davon absehen, Gruppen zu bilden. Das könne den Eindruck erwecken, man plane etwas. Daher: Bitte keine Gruppen bilden. Besonders nicht dort wo es besonders verdächtig ist: vor den Klos. So geht Wandervogel 2 dann auch alleine und natürlich kommt es wie kommen muss. Just nach dem Platznehmen, als sich die Hose an die Knöchel schmiegt, ertönt das Bitte-Anschnallen-Signal. Erniedrigender als in einer Flugzeugtoilette kann man Turbulenzen nicht erleben. Immerhin kein Looping.

Die Passkontrolle verläuft wider Erwarten – ungefragt und in bester Absicht hatte das Wandervögel-Umfeld Horror-Geschichten aus zweiter Hand kolportiert – unkompliziert. Doch das dicke Ende kommt, als die Reisenden schließlich mit Sack und Pack das Terminal des L.A. International Airports verlassen wollen. Mit wehender Zunge und gebleckten Zähnen zerrt ein Drogen-Dackel an der Leine seiner Betreuerin, um dies in Richtung der unbedarften Urlauber zu lotsen. Nach gezielter Inspektion stellt sich heraus, dass der Dackel lediglich einen ausgezeichneten Geschmack besaß und der betörende Geruch von 10.000-Kilometer gereisten Pastrami-Käse-Stullen seine Instinkte weckte. So schließt sich der Kreis aus Stullenhäme.

“We’d like to collect our Mietwagen!”, tönt es aus den Kehlen der Wandervögel beim Betreten von Thriftys-Autovermietung. Was in fünf Minuten erledigt sein könnte zieht sich über eine halbe Stunde voller wichtiger Hinweise zu Land und Leuten, dem unvermeidlichen Verweis der Servicekraft auf die Deutschen Wurzeln und das vernuschelte “Dankeschön” und die Versuche den Wandervögeln einen Hummer zu vermieten oder ein SUV oder zumindest doch einen BMW, denn das sei ja urdeutsch und in den U.S.A. sei ein großes Auto ja das Wichtigste überhaupt. Symbol von Status, Garant für Sicherheit und überhaupt und sowieso. Die Wandervögel lehnen dankend ab und pochen auf ihre Nissan Stufenhecklimousine und auch der ambitionierte Versuch den Reisenden die All-Inclusive Premium Spezialversicherung zu verkaufen scheitert. All der Smalltalk vergebens, all die Freundlichkeit verflogen, dann nehmt eben den Reiskocher und eure Basis-Versicherung und dann geht mit Gott aber geht. Machen die Wandervögel. Auf Wiedersehen.

Wie von einer 14-Millionen-Menschen-Metropolregion aus Autoversessenen nicht anders zu erwarten, ist der Straßenverkehr trotz Vierspurigkeit in jeder Richtung strukturell und funktional defekt. Durch die iPhone-Navigation gestützte Beifahrerkompetenz von Wandervogel 2 leidet Wandervogel 1 durch den stockenden Feierabendverkehr von Los Angeles – eine der ungünstigsten Gelegenheiten erstmalig ein Fahrzeug mit automatischem Schaltgetriebe zu führen. Vorbei an Werbe-Billboards, Einkaufszentren und ganz wenig Grün geht es zielstrebig nach Hollywood; wo die Stars und Sternchen wohnen, die Reichen und Schönen und – wie sollte es anders sein – das Motel der Wandervögel auf die Reisenden wartet.

Zum Spottpreis von 100 US-Dollar die Nacht – „Frühstück“ aus Donuts und Keksen inbegriffen, dürfen die Wandervögel ihre Ausrüstung und sich in ein überdimensioniertes Bett plumpsen lassen. Um dem Jetlag entgegenzuwirken entschließen sich die beiden noch zu einem Bummel über anliegenden Walk of Fame. Die Sehenswürdigkeit entpuppt sich als eine vielbefahrene Straße, auf der Proleten, und solche die es werden möchten, ihre aufgebohrten Knatterkisten unüberhörbar spazierenführen. Gesäumt von Geschäften vollen Tand und Menschen in Batman-, Superman- und (ganz neu) Spider-Man-Captain-Amerika-Kostümen auf Touristen lauern, lassen sich zahllose eingelassene Sterne betreten. Wandervogel 2 kann sich mit dem Posieren auf der Ehrenmarke von Michael Jackson einen Lebenstraum erfüllen. Dann geht es weiter vorbei an Klischee-Gangstern die sich „Homie“ und „Crazy Ass Nigger“ ansprechen, stets bedacht nicht über die Obdachlosen zu stolpern, die es sich auf dem Gehweg nach 22 Uhr bequem machen. Welcome to La La Land – the land of opportunity.

Reisen mit iGeräten

Kurze Gedanken zum Einsatz von iPhone und iPad im längeren Urlaub am anderen Ende der Welt…

Eine echte Tastatur ist durch nichts zu ersetzen. Das Leid und die gefühlte Zeitverschwendung, die längere E-Mails oder Beiträge wie dieser mit sich bringen, rechtfertig das Mitführen des ohnehin sehr handlichen Apple Bluetooth Keyboard im Handgepäck.

[Weiterlesen]