Gaijin. Japan 2019: Pachinko-Alarm in Beppu

Um sich von Hiroshima gebührend zu verabschieden, nehmen die Wandervögel die Straßenbahn zur Gedenkstätte des Atomtods, dessen 200.000 Opfer den Ort im kollektiven Bewusstsein verankerten. Auf dem Weg zeigt sich, dass die Japaner drei Aggregatszustände kennen: an anderen vorbei ins Leere schauend, auf dem Display eines Smartphones umher wischend und schlafend. Vor allem letzteres beeindruckt, denn die Asiaten haben das Power-Napping derart perfektioniert, dass sie selbst auf einer fünfminutigen Fahrt in den Tiefschlaf und wieder zurück reisen.

Die Gedenkstätte präsentiert sich unspektakulär schlicht, Schulklassen hängen Girlanden aus gefalteten Kranichen auf und singen Lieder vom Frieden, dann das Klassenfoto und die nächsten bitte. Um die allgemeine Weltlage zu reflektieren lodert die Friedensflamme auf Sparflamme. Abgedreht wird sie erst, wenn Atomwaffen verschrottet sind. Die Japaner können sich auf eine horrende Gasrechnung einstellen. Vorbei am stummen Zeitzeugen, den Atomic Dome, schleichen sich die Reisenden davon und machen sich auf den Weg in den Süden. Nach Beppu soll es gehen, wo Strände, Grün und heiße Quellen den durch Rucksackschleppen geschundenen Rücken Linderung verschaffen sollen.

Bei der Abreise am hiroshimaer Bahnhof zeigt sich eine weitere liebevolle Eigenart der Japaner: Omiyage. Wann immer einer seine Präfektur verlässt, muss er für Freunde und Kollegen zur Heimkehr etwas aus der Fremde mitbringen. In der Folge hat jeder Ort in Japan vermeintliche Spezialitäten entwickelt, die meist schon fertig verpackt zum Verkauf in den Bahnhöfen angeboten werden. Die Spezialität von Hiroshima sind Momiji Manju, gefüllte Plätzchen aus Bohnenpaste. Beeindruckender als der durchaus annehmbare Geschmack ist jedoch die Maschine, die das Gebäck vollautomatisch herstellt. Nur zum palettieren wird noch ein konzentriert dreinblickender Rentner benötigt, der mit routinierten Bewegungen die Plätzchen wegsortiert.

Die Wandervögel entscheiden sich – wie viel zu oft in diesen Tagen – für Sushi als Reiseproviant. Die auf den Bahnsteigen angebotenen Bentos sehen zwar alle liebreizend aus, scheinen aber zu 75 Prozent aus Reis zu bestehen – und davon haben die Reisenden mittlerweile mehr als genug internalisiert. Nach einem Umstieg in Fukuoka präsentiert sich den Wandervögeln Beppu in all seiner kurörtlichen Pracht. Die ganze Stadt wirkt wie ein sozialistisches Baumanifest. Menschenleere Parks mit Meeranschluss, verwaiste Geschäfte, leere Gassen. Dafür dominieren Parkflächen das Stadtbild, wer in Japan einen Parkplatz sucht, der wird in Beppu fündig und muss sich auf dem Weg dorthin nicht um Fußgänger scheren.

Getrieben von detektivischer Neugier wollen die Wandervögel die Ödnis von Beppu ergründen und landen im ersten Ermittlungsansatz einen Volltreffer. Hinter den Türen eines unauffälligen Gebäudes verbirgt sich des Rätsels Lösung. Hunderte ältere, alte und hochalte Beppolesen sitzen wie hypnotisiert vor farbblitzenden Bildschirmen von Automaten, in denen Kugeln durch die Gegend schießen. Der von infernalischer Lautstärke untermalte Wahnsinn hat einen Namen: Pachinko. Und die Beppolesen gehen richtig steil darauf ab. Eimerweise kippen sie Yen-Münzen nach, um das Geklacker zu befeuern, bis die Rente verbraten ist. Angesichts der Tatsache, dass die suchtkranken Mumien Kette rauchen, treten die Wandervögel schließlich den strategischen Rückzug an, da die Messgeräte Atemschutz nahelegen.

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