Gaijin. Japan 2019: Ringende Speckbuletten

Praktisch ist, wenn der Tokio-Aufenthalt zeitlich mit dem Sumo-Frühjahrstournier koinzidiert. Weniger praktisch ist, dass die Karten umgehend ausverkauft sind. Als Retterin in der Not erweist sich die Herbergsleitung, die ein Kartenkontingent erstanden hat und Interessierten im Rahmen einer Sumo-Tour anbietet. Der nackte Horror für die Individualreisenden, aber besser Sumo mit der Gurkentruppe als gar kein Sumo. Zudem verspricht das Programm neben dem Schauspiel eine Einführung in den Kampfsport, Snacks sowie ein Verkosten der traditionellen Ringerspeise – Hot Pot.

Die Gurkentruppe erweist sich als von erträglicher Gurkigkeit – in Form diverser affektierter US-Amerikaner die aufgrund ihrer Zuckerdiät üblich überdreht sind. Enfant terrible ist Bobby, ein pyknischer Austauschstudent im sehr fortgeschrittenen Semester, der mit aufgesetzer Tuntigkeit und Begeisterung für alles und jeden das Augenrollen auf sich zieht. Wandervogel 2 hält dagegen, indem er 90 Prozent der für die gesamte Gruppe gedachten Reiscracker in sich oder Proviant-Rucksack stopft. Wandervogel 1 indes plündert mit den Worten „Oh, Tee!“ die Kiste von Hinterlassenschaften Abgereister. Schrullig können die Wandervögel richtig gut.

An der aus „Man lebt nur zweimal“ bekannten Arena angekommen, geben sich die Stars die Ehre. In Kimonos flanieren die Kolosse zwischen den johlenden Fans aller Altersklassen auf und ab, um Personenkult wie Devotionalienhandel anzukurbeln: Handtücher, Stäbchenhalter, Autogrammkarten mit Kalligrafie und Handabdrücken. Untermalt von der babyhaften Sumo-Hymne ‚Hakkiyoi‚, die sich als Ohrwurm in das Gehirn brennt. Die zwei Dutzend Kämpfe erweisen sich als kurzweilig, vor allem jedoch als kurz. Abzüglich des jeweils minutenlangen zeremoniellen Brimboriums dauert das eigentlich Geschubse und Geschiebe meist nur wenige Sekunden. Doch vor allem wenn 180 Kilogramm Biomasse aus dem Ring in die erste Reihe Kullern kommt Stimmung auf.

Was ebenfalls aufkommt, ist Hunger. Die Reiscracker sind verzehrt, der Magen knurrt. Wandervogel 1 fragt nach, wann es denn den versprochenen Hot Pot zu essen gäbe. „Hot Pot?“ fragt die Reiseleitung verständnislos. „Hot Pot!“ insistiert Wandervogel 1. „Hot Pot is what the Sumos eat“, erklärt die Reiseleitung. „Hot Pot is what we want to eat“, läßt der Wandervogel nicht locker. All das Gerede vom Hot Pot sorgt für Unruhe in der Gruppe, die sich ebenfalls an das Hot-Pot-Versprechen zu erinnern scheint. Und so geht es zum Hot-Pot-Verzehr ins Untergeschoss. Tatsächlich ist es aber viel Gewese um ein wenig Brühe mit Gemüse- und Schweineeinlage. Fraglich, wie viel Liter die Sumos davon aufsaugen müssen, um ihre prägnante Körperform zu erhalten.

Als das letzte Match des Tages gerungen und der Yokozuna erneut seinen Titel verteidigt hat, geht es an das Auswerten der Wettscheine. Eine ausgewogene Mischung aus blinder Raterei und Profundem Fachwissen bringt Wandervogel 1 immerhin den dritten Platz ein. Prämie sind zwei Postkarten mit Sumo-Motiven und ein Essstäbchen-Halter in Sumo-Form. Nach so viel Sumo geht es zurück in die Stadt. Ein abendlicher Abstecher durch die hübsch angestrahlte Tempelanlage Senjo-Ji, in derem Umfeld Ramschhändler gerade einpacken. Wandervogel kann beim Anblick der örtlichen Spezialitäten nicht länger an sich halten und wagst sich an einen aufgerollten Crêpe mit einer Füllung aus Erdbeere, Käsekuchenstück und Schlagsahne. Wider erwarten liegt der Fokus auf Schlagsahne. Aber: Von Luft und durch die Gegend Wandern ist schließlich noch keiner zum Sumo geworden.

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