Xbox 360: Mafia II

Die ersten Spielminuten täuschen die Erwartung. Eine Schlacht im Zweiten Weltkrieg, Sizilien, Schrapnell und Rauch. Als Sühne für in der neuen Heimat begangene Straftaten muss Vito als GI in den Krieg. Eine Brise Call of Duty weht, dann ist der Krieg auch schon vorbei und Empire Bay hat Vito wieder. Heim zu Mutti, zu alten Freunden, die Vito nach Jahren in der Fremde mit ersten schmutzigen Jobs den Weg zurück auf die schiefe Bahn ebnen. Nach so viel Ereignissen und Handlung stellt sich langsam Ernüchterung ein. Autos knacken, von A nach B fahren und mit Waffengewalt Aufträge erledigen, das ist Sandboxing und die Grundmechanik von GTA (WP) – und doch hat 2K Czech (WP) hier etwas anderes geschaffen, als eine Variante von Rockstar Games‘ Open World Game, das im Amerika der 1940er Jahre spielt.

Im reinen Wortsinn ist Mafia II episch. Es wird erzählt, es wird aufgebaut, es wird etabliert. Männer mit Hüten, beeindruckende Hochhäuser und erste Serien-Autos. Alles in der Spielwelt zeugt von der Detailversessenheit, mit der 2K Czech ihrem Ziel gefolgt sind, eine kohärente Spielwelt zu erschaffen. Eine, die den Spieler aufgrund ihrer Authentizität fasziniert. Farben, Frisuren, Kleidung, Waffen, die Bilder von Playmates in herumliegenden Magazinen – selbst das Wetter scheint akribisch recherchiert und umgesetzt. In der Folge verfliegt die Zeit, weil die Faszination für diese Stadt, weil die Illusion so groß ist, dass man das Spielen vergisst, dass das Spielen zur Nebensache wird. Oh eine Kathedrale, oh ein Wolkenkratzer, oh Brücke mit Millionen von Stahlbolzen, die in der Abendsonne schimmern.

Der Handlungsfaden ist lang, aber straff gespannt. Es zieht sich selten. Wer abschweifen, und sich noch mehr Zeit in der Spielwelt vertreiben möchte, der kleidet sich ein, sammelt Steckbriefe oder erkundet Empire Bay. Die Haupthandlung indes, vorangetrieben durch Zwischensequenzen aus hervorragender In-Game-Grafik, ist durchsetzt von 3rd-Person-Intermezzi. Ein zu tötender Konkurrent hier, zu stehlende Juwelen dort. Wie in den kanonischen Pate-Filmen (WP) von Coppola (WP) wird hier über Jahre erzählter Zeit hinweg eine breite Geschichte mit zahlreichen bemerkenswert klar und tief strukturierten Figuren erzählt. Ein spielenswerter Film, der an keiner Stelle so schwierig ist, das er frustrierte oder gar das Joypad aus der Hand gelegt werden müsste – wenn auch die Rücksetzpunkte nach einem Bildschirmtod bisweilen etwas großzügiger hätten gesetzt werden können.

Es ist faszinierend, Empire Bay im Wandel der Zeit zu erleben; nicht nur wenn sich Jahreszeiten sondern sich über Jahre Mode, Musik und Autos verändern. Wenn an die Stelle von Ford Model-Ts (WP) Hot Rods (WP) treten und Chuck Berry (YT) im Radio die Stelle von Django Reinhard (YT) einnimmt. Der Spieler ist eher Zuschauer denn Spieler, muss sich nicht durch Tutorials quälen, um sich dann mit dem Gelernten in der Spielwelt zurechtzufinden. In Mafia II lernt man auch nach Stunden noch Dinge, die auch in den ersten Spielminuten hätten vermittelt werden können. Aber eben diese natürliche Erzählweise und die Kohärenz der Spielwelt machen den Titel so szenisch, episch und spielenswert. Spielfiguren mit Narben von der morgendlichen Rasur, Blicke aus der Hotel-Bar auf den Hafen, den man kurz zuvor durchlaufen hat und die stetig fortschreitende Handlung machen Mafia II mit einer Spielzeit von etwa 15 Stunden zum Pflichttitel für ein herbstliches Wochenende.

In einigen Momenten ist es erschreckend, wie gut Mafia II funktioniert und einen Lifestyle transportiert. Wenn man mit einem gestohlenen schwarzen Sportwagen mit roten Ledersitzen auf der Straße vor dem ersten Herrenausstatter der Stadt hält, sich den teuersten Anzug kauft und beim Verlassen des Ladens feststellt, dass sich notgedrungen ein Stau gebildet hat. Es genügt die Thompson (WP) in die Luft zu strecken, damit sich Ärger und Hupen auflösen und Platz für Panik machen. Man schwingt sich in den gestohlenen Wagen und fährt davon. Und wenn die Polizei im Weg steht, dann genügen 200 Dollar, um sich freizukaufen. Gewalt, Geld und Macht in Mafia II erzeugen ein perverses Freiheitsgefühl – fast als kaufte man sich mit 20.000 Euro von einem Strafverfahren frei. Mafia II zu spielen, ist wie Goodfellas (WP) das erste mal zu sehen und dabei ständig Blowjobs (WP – aber nur der Illustration wegen) zu erhalten und kühles Bier gereicht zu bekommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert