Íngreme. Madeira 2020: Effektives Ritzen

Entgegen der Vorannahme ist der Norden der Insel schneller durchgespielt als vorgesehen. Die Gubbeligkeit der Unterkunft befeuert den Gedanken einer vorzeitigen Weiterreise zurück in den Süden der Insel, und nach Eiern mit Atlantikblick auf dem Minibalkon, geht es mit allen Rucksäcken wieder auf die Straße. Die fehlenden Kerben im Colt wollen die Wandervögel auf dem Weg ritzen. Die erste Kerbe sollen die Ruinen in der Bucht von Calhau de São Jorge bringen. Allerdings erweist sich das Trümmerfeld schon nach halbem Abstieg als derart unspektakulär, dass die Absteigenden beschließen, auf eine nähere Inspektion zu verzichten. Auch weil die Geräusche der in der Hängen nistenden Erdwespen sich selbst mit überbordender Fantasie nicht als freundliches Willkommen interpretieren lassen. Ab in die Gurke und weiter auf den Serpentinen.

Der Miradouro do Guindaste soll die zweite Kerbe bringen. Kraxel, kraxel, latsch, latsch und nach drei Minuten genießen die Wandervögel auf einer Klippe im Meer stehend den Blick über klares Atlantikwasser bis zum Horizont. Doch das azurblaue Idyll währt nur einen Atemzug, bis die Reiseleitung einen strengen Uringeruch wahrnimmt. Entgegen ihrer detektivischen Neigungen verzichten die Reisenden auf Nachforschungen und greifen die olfaktorische Eigenart als Argument für die Weiterreise auf. Diese soll zum ‚Balkon‘ von Ribeiro Frio führen, eine natürliche Felsformation, die nach kurzer Waldwanderung einen spektakulären Ausblick verspricht. Das Wetter nutzt selbst dieses kurze Zeitfenster für Sperenzien: Nach einem satten Guss verhüllt sich der vermeintlich spektakuläre Blick in dunstigen Nebel. So erfreuen sich die Enttäuschten eben am Spiel der possierlichen Spatzen, die sich an der Tränke balgen.

Durch von teilnahmslos dreinblickenden Bergschafen bewohnte Nadelwälder geht es nach Caniço im Süden, wo das letzte Basislager bezogen werden soll. Da bis zur Schlüsselübergabe noch reichlich Zeit ist, beschließt die Reiseleitung einen Badestop – in der Hoffnung, das Problem mit der Kanalisation seit mittlerweile beseitigt. Vor Ort weist ein Schild darauf hin, dass die Badestelle mittlerweile ‚unbewacht‘ sei, was Wandervogel 1 nicht davon abhält, mit Schnorchel und Maske in die Meeresfluten zu springen. Das Badevergnügen trübt lediglich, was die Reiseleitung in Badeeuphorie übersah und dafür nach dem Eintauchen um so eindrücklicher wahrnimmt: zahlreiche Bauarbeiter sind damit beschäftigt, Rohrleitungen zu flicken, die in das natürliche Badebecken münden. Angesichts des Vorwissens um das kloakische Problem der piscina naturale am Praia Reis Magos ist das dann zu viel Natürlichkeit.

Als deutlich bessere Badealternative erweist sich erneut das Meerwasserbad im örtlichen Resort-Hotel. Das Wetter zeigt sich einsichtig, so dass auch die Tiefsee den Schnorchelnden offensteht. So entschließen sich die Wasservögel dann auch, die letzten Tage ihrer Reise auf die Atlantik-Insel der Beobachtung des aquatischen Lebens zu widmen und sich vom Sprungbrett in die Fluten zu stürzen. Im Nachhinein soll sich die Abkühlung als hervorragende Idee erweisen, denn während die Maschine zum Abflug auf die Piste rollt, stellt sich die Klimaanlage defekt heraus. Während die Maskenvögel eine Stunde mit den anderen Sardinen in der Büchse schwitzen, schwelgen sie in Erinnerungen an widerspenstige Haushaltsgeräte, vernebelte Panoramen und den Gestank der Kupplung. Bis zum nächsten Abenteuer.