Lujasogi. Bayern 2020: Gescheitelter Weihnachtskitsch

Bayern ist durchgespielt. Berge, Berge, Berge. Klamme, Klamme, Klamme – Es reicht den Wandervögeln mit der exotischen Natur und den allerorten viel zu weichen Betten. Weil es jedoch Wahnsinn wäre, die mehr als 900 Kilometer in einem Rutsch zu fahren, stöbern sie nach einem ansehnlichen Zwischenziel. Augsburg ist zu nah, Nürnberg zu groß und so fällt die Wahl auf Rothenburg ob der Tauber, das Wandervogel 2 als eine Studentenstadt von Heidelberg-artiger Hutzeligkeit im Hinterkopf hat. Gesagt, gebucht und ab dafür. Kurze Zeit lotst der Bordcomputer die Reisenden durch das Stadttor und die Kopfstein gepflasterte Altstadt. Zum großen Entsetzen der Durchfahrenden ist die Stadt ausgestorben. Doch wenn sie schon mal da sind und quasi Weltkulturerbe drauf steht, steigen die Reisenden immerhin aus.

Bambergisch mittelalterlich gibt sich die winzige Stadt, die tatsächlich so winzig ist, dass sie wider Wandervogel 2s Erwarten gar keine Universität besitzt. Diesen Makel versuchen die Einheimischen mit Unsinn-Läden zu kompensieren. Die Stadt geht steil auf Teddybären und Weihnachtskitsch. Wie es die augenscheinlich aus Asien stammenden Touristen durch die Corona-gesperrten Grenzen in den Käthe Wohlfahrt-Stammladen geschafft haben, fragen sich die Wandervögel. Da ihr Asiatisch allerdings nicht konversationstauglich ist, müssen sie rätselnd von dannen ziehen. Vorbei an zahllosen Birnbäumen wird in Schaufenstern von Backwarenfachgeschäften fortlaufen die vermeintliche Spezialität ‚Schneeballen‘ angepriesen, der die Wandervögel auf den Grund gehen müssen.

Bei den an Nachbildungen von Hundehirnen erinnernden Produkten handelt es sich um profanen in Fett gesottenen und mit Puderzucker bestäubten Mürbeteig. Eine ingesamt staubtrockene Enttäuschung, von denen sich jedoch jeder Besucher mindestens eine hineinzwängt. Kulinarisch unbefriedigt marschieren die Wandervögel entlang der Stadtmauer, lassen den Blick über die Tauber schweifen und versprühen bei jeder Lautäußerung einen feinen Regen trockener Mürbeteig-Krümel. Nichts vermag die Weltreisenden hier länger als drei Stunden zu halten und, da der Tag erst halb rum ist, beschließen sie ihre Zelte abzubrechen, bevor sie Heringe und Gummihammer überhaupt auf dem Kofferraum geklaubt haben. Vielleicht kann Würzburg ja mehr?

Tatsächlich wirkt die Stadt mit dem bescheuerten Namen beim Einfahren weit weniger Provinziell. Hier trifft historische Bausubstanz im Herzen auf Hannoveraner Nachkriegsbeton in der Proximität. Unter permanenten Glockengeläut erkunden die Wandervögel die Residenz der Bischöfe, die sich hier einst die Taschen voll gemacht haben. Leider haben die pompösen aber geschmacklosen Geistlichen sich ihren Palast vom perrückten Balthasar Neumann zimmern lassen. In langweiligster Barock-Symmetrie thront das Gemäuer über einen gewaltigen Parkplatz und beschützt seinen nicht minder langweiligen Residenzgarten, bei dem man sich nach der Besichtigung der einen Hälfte die andere auch ohne ausgeprägte Vorstellungskraft gut denken kann.

Die Einheimischen greifen die Bamberger-Tradition des ‚Brückensaufens‘ auf und schrauben sich auf einer Karlsbrücken-Immitation über den Main die fränkischen Reben Bocksbeutelweise in die Schädel. Angesichts solch niederer Auslassungen beschließen die Wandervögel, dass es an der Zeit ist, sich vom Frankenland zu verabschieden. So kehren sie ins rustikale Wirtshaus Lämmle ein und ordern Deftiges. Der undeutlichen Aussprache von Wandervogel 2 mag es geschuldet sein, dass er statt des bestellten Schollenfilets ein Schäuferla serviert bekommt, aber am letzten Abend soll alles mit knusprigem Fett und Klößen recht sein. Und so wird dann spätestens zum Nachtisch alles gut, als Wandervogel 1 nun endlich, endlich, endlich ihren lang erwarteten Apfelstrudel mit Vanilleeis serviert bekommt. Das Glück kommt zu dem, der warten kann.