Lujasogi. Bayern 2020: Ab in den Osten

Reisepläne, Schmeisepläne. Der Pandemie geschuldet können sich die Wandervögel ihre Reise nach Kanada in die goldlockigen Haare schmieren. Und das Geld für den Flug als Festiger gleich hinterher. Was tun, wenn Corona eine Schließung der Grenzen zur Folge hat, aber die Sehnsucht nach Abenteuer im Herzen brennt; das unstillbare Bedürfnis von fremden Sprachen und Gebräuchen umgeben zu sein, um als Fremdkörper in einer anderen Kultur das eigene Sein zu reflektieren? Die Wandervögel laden die Rucksäcke kurzerhand in den Kofferraum und brechen auf. Nach Bayern.

Weil die Wandervögel keine Lust auf einen Gewaltstart haben, nähern sie sich ihrer Destination in Etappen. Die erste führt in ein nicht minder exotisches Land als Bayern. Ein Land, dessen Einwohner sich in der gemeinen Wahrnehmung durch übertriebenes völkisches Selbstbewusstsein auszeichnen und die ihre Eigenheit durch eine fortlaufende Pervertierung der Sprache zur Schau stellen. Nach einem entspannten Tag auf der Autobahn mit grundsätzlich zählbaren, des Bildes wegen aber zahllosen Frikadellen und hart gekochten Eiern, passieren die Wandervögel die Landesgrenze von Sachsen und machen sich auf in das Herz der Finsternis, das einst als Karl-Marx-Stadt vergleichsweise wenig auf sich selbst aufmerksam machte.

Der tiefste Osten trotzt dem braunen Mob und begrüßt mit dem Lulatsch, einer regenbogenfarbenen Dauererektion – in den Himmel ragender Auspuffe von Industrieanlagen als homoerotische Phalli zu verkleiden, erscheint zumindest im Vorbeifahren als eine clevere Irritation. Als Gastgeber fungieren „die Ossis“, die Familie eines mit Wandervogel 2 seit knapp einem Jahrzehnt verbandelten im Mittelalter hängengebliebenen Veganers. In unverständlichen, aber der Tonalität nach herzlich gemeinten Lauten, begrüßen sie die Wandervögel. Der Grill ist heiß, das Kind darf einem Fremden sein Bett abtreten und dafür stolz das Lego und die Dinos zeigen. Ein Festival der guten Laune. Doch der Abend ist kurz, denn den Wandervögeln stecken die Autobahnkilometer in den Gräten.

Am kommenden Tag offenbaren sich schnell die unerwünschten Begleiterscheinungen des Besuchs: Durch das penetrante Schnarchen von Wandervogel 2 hat die Kinderzimmer-Orchidee über Nacht alle Blätter fallen lassen. Nach einem Frühstück für das vergleichsweise wenig Tiere sterben und nur einige wenige leiden mussten, geht es – trotz intensiver Boykotte durch den Nachwuchs, der die Auseinandersetzung mit der Nintendo Switch dem Naturerlebnis vorzieht – schließlich dann doch in den wilden Osten. Auf dem Vormittagsprogramm: Die Bastei, mittelalterliche Festung inmitten der sächsischen Schweiz.

Was die Wandervögel in einer sportlichen Stunde abgerissen hätten, entwickelt sich durch die Eigenwilligkeiten minderjähriger Mitreisender zu einem Tagesausflug. Die in einem Augenblick kategorische Bewegungsverweigerung aufgrund akuter Entkräftung, verfliegt beim Anblick von Enten, die alternativlos als Haustiere angeschafft werden müssen, wenn es weitergehen soll. Lautstarke Kritik an der Steil- wie allgemeinen Beschaffenheit des Weges und dessen Länge sind das rote Band, das zur Spitze des Berges führt – von wo aus Wandervogel 1, die Mutter der für die Nacht anvisierten Herberge über ein geringfügig späteres und zeitlich nicht näher terminierbares Ankommen informiert.

Nach in Rucksäcken ausgelaufenen Wasserflaschen, von missliebigen Einheimischen zu Wucherpreisen veräußerten Eisen und einer Fahrt mit der Elbfähre endet der Tagesausflug im Angesicht eines Spielplatzes, der den Augenblicke zuvor noch katatonischen minderjährigen Miteisenden in ein Energiebündel verwandelt und fortan um sich selbst kreisen lässt. Von ihm unbemerkt verabschieden sich die Wandervögel von ihren Gastgebern und machen sich auf nach Bad Schandau – Drehkreuz des Ostens, Brücke nach Tschechien, von Gott vergessenes Kaff an der Güterstrecke, auf der die Waggons im Viertelstundentakt vorbeiholzen.