Atlantisch. Azoren 2019: All over now


Nach zehn Flügen, dutzenden Wasserfällen und zahllosen Käsebroten sind die Wandervögel wieder an ihrem Meldeort angekommen. Wer die Reise auf die Azoren noch mal mitmachen möchte, findet hier alle Beiträge in chronologischer Reihenfolge:

Atlantisch. Azoren 2019: Neue Abenteuer, alte Feinde
Atlantisch. Azoren 2019: Verwanzt und geschunden
Atlantisch. Azoren 2019: Neuer Tag, neue Insel
Atlantisch. Azoren 2019: Vernebelte Knorpelwürste
Atlantisch. Azoren 2019: Das knallrote Gummiboot
Atlantisch. Azoren 2019: Wasserfallende Regenbogen
Atlantisch. Azoren 2019: Ferien auf dem Bauernhof
Atlantisch. Azoren 2019: Würste im Wildwasser
Atlantisch. Azoren 2019: Stierfrei
Atlantisch. Azoren 2019: Schweigsame Schwefelei
Atlantisch. Azoren 2019: Rentnereintopf
Atlantisch. Azoren 2019: House of the Dackel
Atlantisch. Azoren 2019: Surfen im Wunderland

Atlantisch. Azoren 2019: Surfen im Wunderland

Der letzte Tag im Atlantik beginnt mit Gebimmel. Weil seine Tröte defekt ist, bimmelt der Brötchen-Knabe die Menschen aus den Betten. BimmelBimmelBimmel. BIMMELBIMMELBIMMEL. Alle sollen erfahren, dass er frische Teigwaren ausliefert. Alle! Auch die, die kein Interesse an frischen Teigwaren haben und lieber schlafen möchten. So raffen sich die Wandervögel auf, spachteln sich eine Käsebrötchen-Grundlage in die Mägen und fahren zum Strand, wo die Surflehrerin wartet. Erneut verwandeln sich die Reisenden in Neoprenwürste, die Gruppe wird komplettiert durch ein paar Last-Minute-Französinnen. Eine der beiden macht dabei einen unglücklichen Eindruck. Tatsächlich hatte sie den Tag anders geplant: Sie wollte ans Wasser und nicht ins Wasser – ein Buchstabe, viel Unbill.

Ambitioniert gehen zwei Drittel an die Trockenübungen und durchpflügen den Sand, während Le petit Sauertopf aus Angst um ihre Nägel auf die gewissenhafte Vorbereitung verzichtet. In den Wellen dann ereignet sich das Absehbare: Während die Wandervögel alsbald für eine Teilnahme an den Synchronsurf-Meisterschaften qualifiziert erscheinen, zeichnet sich im französischen Team ein Kompetenzgefälle ab. Während die Ambitionierte viel Zeit über dem Wasser verbringt, schimpft sich die Teamkollegin über die Unzulänglichkeiten von Ausrüstung und Ozean. Schuld sind eben immer die anderen.

Um den Körpern den Rest zu geben, steht für den Nachmittag eine Wanderung auf dem Programm. Vom Namen „Janela do Inferno“ lassen sich die Wandervögel nicht abschrecken und ignorieren auch geflissentlich die Ratschläge eine Taschenlampe mitzuführen, sich die Notrufnummer zu notieren und andere davon in Kenntnis zu setzen, dass sie sich auf den Weg machen. Die letzte Warnung gibt es auf einer der zahlreichen Kuhwiesen, auf denen Wandervogel 2 mit seinen Sandalen in einen noch warmen Haufen viehischen Exkrements tritt. Als Folge des anschließenden Veitstanzes sind die Fäkalien weiträumig versprenkelt und die Oberbekleidung des Tänzers mit einem neuen Motiv versehen.

Der Grund für die Anregung einer Taschenlampenmitnahme zeigt sich nach einer Dreiviertelstunde Kuhweiden: Ein finsterer niedriger Tunnel in dessen Dunkelheit sich Kuhdung-Boy mit tastender Begeisterung stürzt. Die Reiseleitung folgt, sich an der Duftspur orientierend. Am anderen Ende erwartet die beiden eine andere Welt. In den Himmel ragende Bäume und tropische Vegetation, verfallene Aquädukte und schließlich auch das namengebende durch Erosion entstandene Fenster zur Hölle, aus dem sich Wasser in die Tiefe ergießt. Staunend inspizieren die Wandervögel die feuchte, saftig grüne Lost-Kulisse, die schließlich in einem weiteren Tunnel endet.

Im Entengang bahnen sich die Hockenden einen Weg durch die Düsternis, der aus dem Wunderland zurück in die Welt der Kühe und auf den Weiden ratternden mobilen Melkmaschinen führt. Nur wenige Reisende scheinen diesen Weg zu nehmen, der in einem Kuhdorf endet. Hier lehnen die Bauern rauchend an ihren Traktoren, während die Bäuerinnen die Wäsche auf die Leinen hängen. Wandervogel 2 blickt lüstern auf die reine in der Brise wehende Oberbekleidung. Lüsterner noch der Blick des Ortsvorstehers, der frei von Oberbekleidung in seinem Hauseingang lehnt und seinen behaarten Bauch streichelnd gierig auf die Reiseleitung blickt. Als er beginnt geil seine zerfurchten Lippen zu lecken und mit einem Auge zu blinzeln beginnt, ist den Wandervögeln klar, dass es an der Zeit ist zu gehen.

Um sich am nächsten Morgen nicht allzu weit zum Abflughafen quälen zu müssen, schlagen die Wandervögel ihr letztes Nachlager erneut in Ponta Delgada auf – nicht ohne sich zuvor im örtlichen Mega-Continente mit ordentlich azoreanischem Käse einzudecken. Zum großen Entsetzen der Reisenden sind Landspersonen in der Unterkunft abgestiegen. Größer noch das Entsetzen, als die Deutschen versuchen Reisenden aus den Vereinigten Staaten, den weltberühmten deutschen Humor nahezubringen. Leider verstehen die Amerikaner so ganz und gar nicht, was die Wortkombinationen „suggestion hammer“ und „shit wing“ bedeuten sollen – selbst als die Spaßvögel wortreich und unter Lachtränen erklären, dass sie „Vorschlaghammer“ und „Kotflügel“ meinen. Kopfschüttelnd vor Fassungslosigkeit widmen sich die Wandervögel ihren letzten Käsebroten. Goodbye Azores – es war hart, aber schön.

Atlantisch. Azoren 2019: House of the Dackel

Als Unterkunft auf Sao Miguel hat die Reiseleitung ein Zimmer in einem Bed-&-Breakfast-Etablissement gebucht. Die Betreiberin spielt mit offenen Karten und stellt umgehend den tatsächlichen Besitzer der weitläufigen Liegenschaft vor. Einen, ob seines fortgeschrittenen Alters, des Lebens müden Dackel, der sich über die Fliesen schiebt. Das Haus erscheint dem Tier von den verstorbenen Besitzern vermacht und ihm testamentarisch lebenslanges Wohnrecht zugesichert worden zu sein. Anders ist nicht zu erklären, warum die um Tisch- und Wandervogelbeine schleichende, betteln- und kläffende Kreatur nicht schon lange „entlaufen“ ist.

Neben dem tückischen Meereinstieg in Ponta Delgada, bietet die Insel weitere Möglichkeiten den Atlantik authentisch zu genießen. Eine besonders Attraktive sind die Termas da Ferraria; hier kracht das Meer mit all seiner Wucht auf Vulkanstein, wer nicht aufpasst und die quergespannten, im Wasser treibenden, Seile anpackt, kann nach einer Welle seine Überreste mit einem Espressolöffel von den Wänden des Naturpools kratzen. Todesverachtend tollen die Wasservögel unter fassungslosen Blicken sicher an Land Stehender, bis die Bademeister mit schrillen Pfiffen das Freischwimmen wegen akuter Gefährlichkeit abbrechen.

Es geht in die Berge, wo die Ruine des Hotels Monte Palace mit Blick über die Sete Cidades darauf wartet, inspiziert zu werden. Interessanter noch als die Betonruine selbst – vor deren Betreten dutzende Schilder warnen – ist die Geschichte dahinter. In den 1980er-Jahren völlig überdimensioniert und vermeintlich mit schmutzigem Geld zum Zwecke der Wäsche eben dieses gebaut, ging das Overlook Hotel nach wenigen Jahren pleite. Nachdem der Besitzer Brauchbares zu Geld machte, kamen irgendwann die Bewohner der umliegenden Dörfer. Badewannen, Doppelbetten, Hängeschränke – das Interieur des Hotels lebt in dutzenden Haushalten auf der Insel weiter.

Weil die Einheimischen zwar Fisch gut fangen, aber nur selten auch gut zubereiten können, ergreifen die Wandervögel selbst die Initiative und besorgen sich zwei Fische. Dankenswerterweise übernimmt die freundliche Verkäuferin das Schuppen – derart energetisch allerdings, dass sich Zuschauende vor den hoch fliegenden Fischteilen in Acht nehmen müssen. Unter Flüchen ob der schlechten Qualität des Arbeitsgeräts wendet die Reiseleitung die gemehlten Meeresbewohner in der vor Jahren sicher einmal beschichtet gewesen seienden Pfanne, während Wandervogel 2 zur schnibbligen Salatzubereitung nebst Vinaigrette-Herstellung degradiert wird. Doch am Ende zählt eben das Ergebnis: volle Bäuche und eine versaute Küche.

Atlantisch. Azoren 2019: Rentnereintopf

Während die Sonne noch schläft, rast Oddjob mit den Wandervögeln durch die neblige Nacht, damit sie den ersten Flug zurück nach Ponta Delgada auf Sao Miguel erwischen. Das Vier Sterne Lunchpaket enthält – hier wiederholt sich die Geschichte – trocken Brot mit Augenwurst. Wandervogel 2 lässt seine Portion gönnerhaft zurück, sollte sich ein hungriger Obdachloser mit niedrigen kulinarischen Ansprüchen auf den Flughafen verirren. Einen rumpeligen Flug später harren die Reisenden des Mietwagens, der da kommen soll. Eine ambitionierte Vermietungskraft nimmt eifrig alle durch Vormietende eingefahrenen Schäden auf, nur um bei der Schlüsselübergabe festzustellen, das er das falsche Fahrzeug abgeklärt hat.

Eine weitere Schadenskontrolle später starten die Wandervögel auf die japanische Tour: Alle großen Sehenswürdigkeiten abfahren und knipsen. Wieder macht der olle Nebel Striche durch Rechnungen, wenn statt malerischer Vulkansee-Panoramen nur extreme Waschküche zu bewundern ist. An anderer Stelle warten thermische Quellen auf Bebadung, doch die vor dem Eingang zur Attraktion parkenden Reisebusse verheißen nichts Gutes. So soll es denn auch kommen. Im Dutzend sitzen die stöhnenden Rentner in vermeintlich peppiger Badekleidung in den vermeintlichen Heilbädern, die Gicht austreiben und verjüngen sollen. Einziger Lichtblick ist ein YouTube-Sternchen, dass sich in gut sitzender Unterwäsche zwischen den Verschrumpelten räkelt und sich von ihren Freund für ihren Reisebericht filmen lässt. Stilaugen verbinden Generationen.

Weiter geht die Reise zu den sagenumwobenen Schwefelquellen von Furnas. Ein Nest, das es aufzufinden keines Navigationsgerätes bedarf, denn es stinkt weithin nach Pups. Ähnlich unspektakulär wie bei der Tour durch die sieben Höllen Japans dürfen Touristen trübe blubbernde Pfützen und umliegende verödete Landschaft bestaunen und sich dabei die Nüstern mit Darmgerüchen vollpumpen. Wandervogel 1 geht geschmacklich aufs Ganze und gönnt sich ein Eis aus örtlicher Produktion. Dem Gestank nach schließlich entfliehend, geht es zur nächsten Touristenfalle auf Sao Miguel. Wo der Reiseführer thermische Quellen in einer malerischen Parkanlage verspricht, finden die Wandervögel einen eingefassten Teich mit braunem Wasser, in dem sich Omis und Ausländer aalen wie die Aale in den Becken hinter „Dat swarte Peerd“.

Hunger treibt die Reisenden schließlich zur Einkehr in ihre neue Heimat Ribeira Grande. Als bester Freund erweist sich erneut der Supermarkt El Continente, der die Ausgehungerten mit Brathähnchen zum Strandverzehr versorgt. Allerdings sind die Aussichten im winzigen Ort wenig behaglich: Die Steilküste bröckelt und den schwarzsandige Strand scheint lange niemand gekämmt zu haben. Mit fettigen Fingern geht es zum Alternativ-Strand Santa Barbara, wo das Leben tobt. Hier schaulaufen Blonde und Blondierte in Neoprenanzügen, lässig ihre Surfbretter schleppend – wie es eben so zugeht, wenn sich die Wassersport-Elite mitten im Atlantik zum Kräftemessen trifft.

Atlantisch. Azoren 2019: Schweigsame Schwefelei

Der Tag im Vier-Sterne-Hotel beginnt so furchtbar wie der letzte endete: Zwischen mehreren Händen voll schrumpeligen Mumien versuchen sich die Wandervögel erfolglos daran, die Rosinen aus dem Frühstücksbuffet zu picken. Um die Tristesse zu quadrieren spielt der Hotel-DJ eine soulige Easy-Listening-Version von „Losing my Religion“. Die Wandervögel fallen vom Restglauben ab und flüchten aus der Pyramide von Geh-Biss. Mit laufendem Motor erwartet sie der namenlose Fahrer im Opel-Mercedes und braust Rollsplitt spritzend über die Hauptstraße davon.

Wie es sich für einen guten Fahrer gehört, ist der Chauffeur der Wandervögel grabesstill, während er das Schiff aus Rüsselsheimer Manufaktur durch die Serpentinen steuert. Allenfalls ein kehliges „Ga“ entfährt seinen, von einem prächtigem Schnauzer, überschatteten Lippen, wenn er die Wandervögel auf eine Sehenswürdigkeit hinweist. Oddjob wäre stolz. Nacheinander geht es zu den drei Sehenswürdigkeiten der Insel. Der erste Stop sind die Furnas do Enxofre eine dampfende Landschaft, in der aus Heidekraut vulkanische Rauchschwaden aufsteigen. Weihnachten für Geologen – die Wandervögel sind ähnlich aufgeregt wie an Fronleichnam, aber sie marschieren die Parcours brav ab.

Anschließend verklappt der Fahrer die Reisenden unter die Erde, damit diese die unspektakulären Lavatunnel von der Gruta do Natal inspizieren können. Höhepunkt ist der Zwang zu Haarnetz und Helm; tatsächlich rennt der, Bob dem Baumeister zum Verwechseln ähnlich sehende, Wandervogel 2 gegen so viele Stalaktiten, dass er ohne die Hartschale seinen wohlgeformten Dickschädel mehrfach eingedellt hätte. Tatsächlich erweist sich die dritte Attraktion, ein begehbarer Vulkan mit See (Algar do Carvao) als Volltreffer – dummerweise stören die dumm daher quatschenden aus Bussen ausgekippten Touristenhorden das erhabene Erlebnis, viele hunderte Meter unter der Erde eingeschlossen zu sein.

Eine weitere Insel ist durchgespielt und die Mägen der Reisenden knurren um Aufmerksamkeit. Doch sie haben die Rechnung ohne die Wirte gemacht, die einen geruhsamen Start in den Abend bevorzugen. So schleichen die Reisenden auf den letzten Löchern pfeifend von Restaurant-Empfehlung zu Restaurant-Empfehlung, um abwechselnd vor „Außer Betrieb“- oder „Gerne in zwei Stunden wiederkommen“-Schildern zu stehen. Als es schließlich an der Zeit ist – vor dem Restaurant der Wahl hat sich eine hibbelige Menschentraube gebildet – sorgt Wandervogel 1 mit linguistischer Expertise für Ernüchterung: „Heute Ruhetag“ entziffert sie eine kleine handschriftliche Notiz unter der Karte. Die aufgekratzen Touristen ihrem gewissen Schicksal überlassend, verabschieden sich die Wandervögel in Richtung der Käsespezialitäten.