Gaijin. Japan 2019: Die sieben Höllen der Wandervögel

Einer der Gründe für die Auswahl von Beppu als Destination durch die Reiseleitung waren die zahlreichen erkundbaren Höhlen in der Umgebung. Vor Ort stellt sich das als ein Missverständnis heraus. Es gibt in und um Beppu gar keine Höhlen. Statt dessen sind die „Höllen“ die örtliche Attraktion. Dabei handelt es sich um heißwassergefüllte Erdlöcher, die in jeweils unterschiedlichen Farben schimmern. Ein verzeihlicher Lesefehler mit drastischen Folgen für das Tagesprogramm, denn statt lichtarmen Naturerlebnis steht nun Touristenverschaukelung der obersten Schublade auf der Speisekarte.

Weiß aufsteigender Rauch allerorten signalisiert, dass die Wandervögel das Ziel der Rumpelbusfahrt erreicht haben. Durch den Souvenirladen führt der Weg zur ersten Hölle: Einem blubbernden Erdloch mit gräulichem Schlamm. Wann immer eine der Blasen platzt, verbreitet sich übelster Furzgeruch. Wandervogel 1 stellt ihre Gesichtsfarbe auf hellgrün und beginnt zu würgen. Weniger spektakulär die zweite Hölle, die Eierhölle: Ein dampfender See, in dem ein Körbchen baumelt. Hierin kochen die Einheimischen Eier, die als „Hölleneier“ an die Besucher verkauft werden. Daneben bieten sie jede Form kulinarischen Unsinns an, der sich durch Geothermie zubereiten lässt.

Um all diese unerwarteten Eindrücke zu verarbeiten, gönnen sich die Wandervögel ein Fußbad in einer Thermalquelle. Aber weder heiße Füße – noch der Halluzinationen und Ohnmacht hervorrufende Geruch, den die Füße von Wandervogel 2 in Verbindung mit dem Bad verströmen – können die Wandervögel davon ablenken, dass sie sich tatsächlich in der Touristen-Hölle befinden. Die dritte der ursprünglich acht Höllen (Kleintierhölle) ist aus dem Programm geflogen und bittet nun um Eintritt zusätzlich zum höllischen Kombi-Ticket. Der Ausblick auf einen Aufenthalt in einem Streichelzoo mit gestörten Insassen erscheint allerdings wenig attraktiv.

Auf zu Hölle drei (eigentlich vier) wo der bräunlich blubbernde Pool nur die zweite Geige spielt. Tatsächlich handelt es sich um eine Alligatorfarm mit thermischem Anschluss. Stapelweise liegen die kaltblütigen, langmäuligen Raubechsen leblos in der Sonne. Die Wandervögel ärgern sich, keine Puschelhäschen aus der vorherigen Hölle im Gepäck zu haben, um Leben ins Gehege zu bringen. In den folgenden Höllen erwarten die Wandervögel – neben farbigen Pfützen – autistische Riesenfische in schmucklosen Minibecken, ein Geysir und viel heißer Dampf. Am Ende der Höllentour ist den Reisenden klar, dass Geothermie einfach nicht ihr Ding ist und vor allem, dass sich genaues Lesen auszahlt. Im Rumpelbus geht es zurück ins nüchterne Beppu.

Um dem Tag zumindest etwas Gewinnbringendes abzuringen, decken sich die Wandervögel mit Bier und Speiseeis ein, um den Tag am menschenleeren tristen Strand von Beppu ausklingen zu lassen. Doch das Einsamkeitsidyll mit Blick auf den Frachthafen nimmt ein jähes Ende. Eine koreanische Kleinfamilie tritt auf mit dem Ziel dem Nachwuchs auch im Urlaub Wissen zu vermitteln. Flugs sucht sich der Vater einen Stock und beginnt des Unterrichtsstoff in den Sand zu zeichnen. Allerdings handelt es sich dabei um sehr viel Stoff. Die Mutter gibt krakeelend Anweisungen.

Was aus der Ferne wie ein leidlich amüsantes Unterhaltungsprogramm anmutet, verkippt sich schrittweise ins Gegenteil. Näher und näher kommen die sandzeichnenden Freizeitpädagogen, achtlos ihrer Umgebung. Alsbald finden sich die Wandervögel auf ihrem Sarong inmitten des strandigen Klassenzimmers wieder. Rechts von Wandervogel 1 krakeelt die Schulleitung, links von Wandervogel 2 kratzt der Klassenlehrer den Stoff in den Sand, hinter den Wandervögeln macht die einköpfige Schülerschaft mit einem großen Interesse an Tierquälerei mittels eines Bambusrohres einer Friedenstaube den Feierabend zur Hölle. Beppu hat eben für jeden eine Hölle parat.