Mzungu. Ostafrika 2018: Kennen Sie Mullah?

Angeltour auf halbhoher See für 60 Dollar? Was kann da schon schief gehen? Keine Fische! Das einzige Mal als das Zucken einer der Ruten die Wandervögel aus dem frühmorgendlichen Dämmerzustand schrecken lässt, hat sich der Haken in einer Boje verfangen. Also drei Stunden endloser Ozean und Schweigen. Immerhin scheint Petrus auch für die übrigen Fischer die in vollbesetzen Booten vorbeiziehen und ihre leeren Netze einholen, an diesem Tag wenig übrig zu haben.

Paje, das Mekka der Kitesurfer, soll für entgangene Fangfreuden entschädigen. Bereits bei der Einfahrt erweist sich der Ort allerdings als Durchfahrtskaff. Kaum einen Fuß auf dem Boden, bestürmt die örtlich Jugend die Weißen. Ob sie denn den Mullah kennten? Den Mullah? Ja den Mullah? Nein, kennten sie nicht, den Mullah. Aber jeder kennte doch den Fußballstar Mullah! Müller? Ja, Mulllah! Sei’s drum, die Mullah/Müller-Fans benötigen dringend einen neuen Fußball. Oder zumindest Geld für einen Fußball. Die herzlosen Wandervögel bringen sie ihrem Ziel nicht näher.

Die Bleibe stellt sich als mittelschwere Katastrophe heraus, die einzig, der Meerblick aus dem Bett, vor dem Totalverriß bewahrt. Zum großen Entsetzen der Ankommenden ist aber Meer gerade aus – wegen Ebbe. Für den Rest der zahlreichen Gäste erscheint das weiße Watt eine Attraktion. Fröhlich schlendern sie durch den temporär auf hunderte Meter erweiterten Strand. Dummerweise eine Aktivität, bei der selbst Faktor 50 klein begeben muss, so dass ihre Körperfarbe schließlich der der Krebstiere gleicht, die sie beim Barbecue on the Beach unter Verbranntheitsschmerzen verzehren.

Wandervogel 2 hat sich derweil einen neuen Lieblingsfeind angelacht: den Kokosmann. Ein halbes Dutzend Kokosnüsse schwenkend, tapert er den Strand auf und ab und preist aus voller Kehle unüberhörbar sein einziges Produkt an. „Coco. Fresh Coco. Tansania Coco.“ Da capo al fine. Aus dem Augenwinkel muss er den missbilligenden Blick des weißen Mannes erspäht haben und so schränkt er seinen Radius derart ein, dass er dem Reisenden mit seiner Krakelerei für eine geschlagene Stunde auf die Nerven gehen kann. Dann hat er seine Waren verkauft und der kleine Mann sieht seine Rache als vollzogen an.

Die übrigen Attraktionen des Strandortes halten sich in derart eng bemessenen Grenzen, dass selbst Sankt Peter-Ording vergleichsweise urban erscheint: Als Maasai-Krieger verkleidete Einheimische bieten sich als kostenpflichtiges Foto-Motiv an. Deren Frauen bemalen Weiße mit Henna-Farbe, damit diese sich auch noch eine Woche nach der Heimkehr über die anerkennende Blicke und das Tuscheln der Bürokolleginnen freuen können. Vermeintliche Verwegenheit für 15 US-Dollar, während die Gravitation des Mondes und der Sonne, das Wasser und die letzten menschlichen Krebse hereintreibt.

Mzungu. Ostafrika 2018: Grüße aus den 80ern

Als die Schnorchelvögel in die Unterkunft einkehren, ist dort die Hölle ausgebrochen. Die mittelalte australische Besitzerin hat beschlossen, sich mit einer gehörigen Dosis 80er-Pop ihre Jugend zurückzuholen. Eurythmics geben Whitney Houston die Klinke in die Hand, schlimme frühe Depeche Mode schließen an Flashdance an. Die akustische Folter findet kein Ende. Im Gegenteil legt das Personal zu Ehren der Chefin noch eine Schippe drauf und schiebt eine Reggae-Remix-CD in das Wiedergabegerät, die den Schrottpop mit monoton-bräsigen Ganja-Man-Rhythmen unterlegt. Die Wandervögel flüchten durch den Hinterausgang an den Strand von Matemwe.

Die Badetuch-Verkäuferinnen haben eingepackt und die mietbaren Massai-Krieger ihre Speere auseinander geschraubt. Bevor die Restaurant-Animateure mit zweifelhaften Preisversprechen um hungrige Kundschaft werben, gehört der Strand der ausschließlich männlichen Fußballjugend, die sich ihr Feld in den Sand gezeichnet hat. Wer nicht mitspielen darf, trainiert am Spielfeldrand von einem Stapel Autoreifen springend für die Karriere als Stuntman das verletzungsfreie Hinfallen. Progressiv unter den muslimischen Ländern dürfen die vollverschleierten dreijährigen Mädchen gemeinsam mit ihren Müttern Mandalas in den Sand zeichnen.

Auf dem Rückweg hat die Stunde der Animateure geschlagen. Der erste sagt den Wandervögeln ihre Herkunft auf den Kopf zu und begrüßt sie in ihrer Landessprache. Tatsächlich ist der junge Mann von großen Ambitionen getrieben: Er möchte sich eines Tages als Reiseführer für deutsche Touristen einen Namen machen. Wenngleich die Satzbildung ihre Zeit in Anspruch nimmt, ist der junge Mann durchaus in der Lage in fremder Zunge zu berichten, was ihn so bewegt. Seine großzügigen Angebote für eine Exkursion am folgenden Tag, eine Taxifahrt in die Hauptstadt oder ein romantisches Abendessen lehnen die Wandervögel indes dankend ab. Gar kein Problem für den Knaben, der es sportlich nimmt und sich für die Gratis-Deutschstunde bedankt.

Reiseplanung ist schließlich die hoheitliche Aufgabe von Wandervogel 1, die sich frühzeitig aus der von Wandervogel 2 geleiteten Deutschstunde verabschiedet hat und mit einem im Sand sitzenden Einheimischen das Programm für den folgenden Tag aushandelt. Um 6 Uhr dann am Strand und mit seinem Kollegen vier Stunden aufs Meer zum Fischen. Im Anschluss fährt der Kollegen die Wandervögel dann quer über die Insel nach Paje, wo sich die Kitesurfer im weißen Strand suhlen. 100 Dollar? Geht klar. Kreditkarte oder bar? Gelächter. Dann eben bar. Bumm, zack, fertig ist der Lack. Ab ins Bett, damit am nächsten Tag die Armkraft auch ausreicht den großen Fang in den Kahn zu hieven.

Mzungu. Ostafrika 2018: Wurstpellen im Ozean

Auf dem Weg die Wandervögel in ihre Unterkunft zu bringen, macht sich der ortsunkundige Fahrer 22 Feinde. Blind den Anweisungen des chinesisch sprechenden Navigationsgeräts folgend, biegt er vom asphaltierten Weg ab und fährt über ein Fußballfeld. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich für seine Querfeldeinfahrt den unpassendsten aller möglichen Zeitpunkte auswählt: die Verlängerung des Relegationsspiels zwischen dem 1. FC Sansibar und Real Moshi. Gefühle kochen hoch, Fäuste hämmern gegen Blechteile, Scheiben werden langsam gesenkt und beschwichtigende Worte gesprochen, denen offener Haß entgegenschlägt. Kurz bevor Libero und Torwart den Fahrer aus dem Fahrzeug zerren und zu Brei verarbeiten können, öffnen sich die Tore der Unterkunft und die drei entkommen in letzter Sekunde.

Am nächsten morgen erscheint Matemwe im Nordosten von Sansibar viel zu idyllisch für die Wandervögel, die statt im blendend weißen Sand zu gammeln, lieber schnorchelnd das Mnemba-Atoll inspizieren möchten. Mit einem Stapel Schillinge geht es in eine der örtlichen Tauchschulen, wo die Pressluftfreaks bereits ungeduldig an ihrer Ausrüstung zippeln. Auch die Wandervögel werden ausgestattet und sehen in ihren 5 Millimeter dicken Neoprenanzügen aus wie verkohlte Presswürste. Doch wenn es um Quallen geht, versteht vor allem Wandervogel 1 nicht den geringsten Spaß. Zusammen mit Gruppenführer Hassan und drei weiteren Schnorchel-Interessierten geht es ans Wasser. Im Team Wandervogel dabei: Andreas und Claudia, das teutonische Walfischduo.

Die fröhliche Fahrt zum Schnorchelstrand endet schnell, denn auch in Tansania haben die Dorfsheriffs ein großes Interesse daran, ihr Salär aufzubessern. Also rechts ran und mit der Ordnungsmacht diskutieren, was denn die angemessene Strafe sei, eine Busladung Wasserfreunde einfach so durch die Lande zu kutschieren. Schließlich wird man sich einig, über die Summe vereinbart man stillschweigen. Hassan fragt, ob es in Deutschland auch so liefe, mit der Polizei. Die Wandervögel versuchen ihm klar zu machen, wie es mit der Korruption in der Heimat läuft. Und dass man erst schriftlich nach Vorlage von Beweismitteln zur bargeldlosen Bezahlung der Schuld aufgefordert wird. Hassans Blick zur Folge hat er die Ausführungen nicht verstanden.

Andreas kümmert sich schon vor dem Einsteigen in die Schnorchelboote liebevoll um seine Partnerin. „Pass auf, dass Du nicht in die Scheiße trittst, Claudi!“, warnt er und ermuntert sie „das Boot ist voll, Du kannst er noch eine rauchen, Claudi!“ Auch an Bord dolmetscht er eifrig, damit sie alles mitbekommt, bevor es ins Wasser geht. Beide müssen auf Neoprenanzüge verzichten, denn in ihren Konfektionsgrößen sind diese nicht verfügbar. Aber Claudi hat auch gar nicht so viel Lust auf die Schnorchelei, schließlich hat sie neue Kniee, lässt sie Hassan wissen. Auch hier scheinen die Worte nicht auszureichen, den intendierten Sinn zu transportieren.

Das Atoll des Tages ist weit besser belebt, als der gestrige Kandidat: Stein- und Clownfische, Seeschlangen und -igel sowie zahlreiches weiteres Meeresgetier. Hektisch bedeutet Hassan der Truppe jedoch mitten im Schnorchelgang zum Boot zurückzukehren. Delfineuphorie bricht aus. Fast verpasst der Trupp den Auftritt von Flipper & Co., denn für den durchnässten Andreas gestaltet sich der einstieg selbst mit sechs Händen Hilfe als zeit- und kräfteraubendes Unterfangen. Doch er hat eine Erklärung parat, denn er sei schließlich keine 20 mehr. Dem ist nicht zu widersprechen. Mit Vollgas geht es den Meeressäugern hinterher und weil die Wandervögel immer braf ihre Teller leergegessen haben, gibt es dann auch Delfin satt, Mitschwimmen im Schwarm inklusive.

Mzungu. Ostafrika 2018: Laguna matata

Aufgrund seiner insularen Lage ist Sansibar von Wasser umgeben. Praktisch, denken sich die Wandervögel, die sich nicht nur am Anblick von Großwild erfreuen, sondern auch die vielfältige Fauna Neptuns schätzen – auf dem Teller sowie live und in Farbe. Klingelingeling vor der Tür steht der maulfaule wie arbeitsscheue Fahrer, der die Reisenden aufs Meer bringen soll. Rumpelig geht es durch die Lande, zu keiner Zeit jedoch ein Fahrerlebnis, dass mit Ugandas Wegen vergleichbar wäre.

Am brandenden Ort schockschwere Not: Viele auf den ersten Blick unangenehme Menschen. An E-Zigaretten saugende Breithintern, das Haar zu Reisezwiebeln verhuscht, krebsrote Trägertop-Typen, die darauf warten, dass heiße girls sie fragen, wie sie ihren body so shapen. Gebetsmühlenartig schicken die Wandervögel Stoßgebete zum höheren Wesen, das die Gruppenverteilung vornimmt. „Bitte keine Prolls. Bitte keine Partymäuse. Bitte keine Sabbeltaschen. Bitte, bitte, bitte!“

Das Schicksal meint es wider Erwarten gut. Einzig das Pariser Hipsterpaar Jaques und Jaqueline – jeweils vom großen Zeh bis zum Kiefer geschmackfrei tätowiert – er sein Krafttier auf dem Rücken, sie „be yourself“ auf dem brasilbeslipten Hintern – ziehen die Blicke auf sich. Ihre Augen hinter Untertassen-großen vollverspiegelten Sonnenbrillen verborgen ertragen sie geduldsam das selbstverschuldete Schicksal. Doch als die Ausrüstung ausgegeben wird, ist auch der Ruhm vorbei. Die Schnorchel in die Schnäbel und ab über Bord.

Entgegen der hohen Erwartungen an farbenfröhliches Treiben blicken die Tauchervögel auf die Reste einer einst sicher blühenden Unterwasserlandschaft. Grau wie das sauber abgenagte Skelett eines Urzeitriesens liegt das Riff auf dem Grund. In Fugen nisten auf nackte Touristenquanten lauernde Seeigel, einsam ziehen Seeschlangen ihren Kreise und ein knappes Dutzend Zebrafische schwärmen im Zickzackkurs umher. Kein Grund etwas so Ödes noch zu schützen, stattdessen sicher die ideale Lage für eine Bohrinsel.

Die zweite Runde im aquatischen Zeitplan führt auf eine schneeweiße Insel auf der 20 Minuten zur freien Verfügung stehen. Jacqueline nutzt die Aufmerksamkeit der knapp 200 aus diversen Booten angelandeten nach ausgiebigen Dehnübungen für eine kleine Demonstration ihrer Flexibilität. Im Spagat wölbt sie Jaques ihren Hintern derart entgegen, dass es das Lycra-Material ihres knappen Schlüpfers auf eine ungekannte Belastungsprobe stellt. Um nicht aus Versehen von über den Strand schießenden Bademoden getroffen zu werden, tauchen die Wandervögel lieber ab. Der Rest stiert sich sie Augäpfel kaputt.

Nach einem weiteren Tauchgang landet die Gurkentruppe auf Mampfi-Island, wo die Vorhut bereits die Grille angefeuert hat. Schlapp, schlapp, schlapp fliegt aus den Kellen Reis, Curry und Meeresfrucht satt auf die Teller. Noch bevor die Backentaschen leer sind, kommt der Nachtisch, ein kulinarischer Spaziergang durch den tasanischen Obstgarten. Zur großen Freunde der Wandervögel plappert die vis a vis sitzende Jaqueline jeden der von der Tourenleitung vorgetragenen Fruchtnamen nach. Es gibt immer ein erstes Mal, auch für Bananen. „Banana.“ „Banana!“ „Sehr gut, setzen!“

Voll wie die Stopflebergänse geht es ächzend wieder an Bord. Die Begeisterung der Reisenden für Planschen in der Mangroven-Lagune hält sich, ob der Vollgefressenheit, in eng bemessenen Grenzen. Um die Laune zu heben, heckt die Crew einen genialen dreischrittigen Plan aus: Segel setzen und Freibier auf Deck. Der dritte Schritt wird dann nach einer Seemeile als Überraschung serviert: Menschen in Delfinkostümen hopsen aus dem und in das Wasser. Vielleicht sind es auch echte Delfine. Aber wer braucht schon Delfine, wenn er mit Bier segeln lassen kann.