Mzungu. Ostafrika 2018: Haufenweise Unikate

Geduldig wartet Kassim anderthalb Stunden vor dem Flughafen von Sansibar-Stadt auf die Wandervögel. Aber der Fahrer kennt keine schlechte Laune und kommentiert auf dem Weg in die Stadt fröhlich plappernd alles links und rechts des Weges. Grundsätzlich, so seine Ausführung der Lokalmentalität, seien 99 Prozent der Sansinesen total tolle Menschen, das letzte Prozent dafür ausgemachte halunkische Pupsnasen, die im Halbdunkel zwei Tage alten Fisch für Frischen verhökerten und Ausflugsreisenden mit hanebüchenen Forderungen das Geld aus der Tasche zögen. Aber nicht mit den Wandervögeln, denn wer Alicante in der Ferienzeit überlebt hat, der ist für alle Widrigkeiten der Welt gestählt – vielleicht mit der Ausnahme Südsudan.

Die Fahrt führt nach Stone Town, die Altstadt von Sansibar-Stadt. Im fahlen Schein der spärlichen Straßenlaternen tobt entlang der Promenade der Nachtmarkt. Tintenfisch verbrennt auf dem Grill, Zuckerrohr verändert in der Presse seinen Aggregatzustand von fest zu trinkbar und Roti-Kartoffelpuffer warten auf Nutella-Füllung. All das wäre furchtbar idyllisch, würde nicht aufgrund religiöser Idiotie der Genuss eiskalten Biers in der Öffentlichkeit verpönt und würden nicht jeder und seine Mutter schmeißfliegig an den Hosen-respektive Rockzipfeln der Wandervögel kleben und diese unablässig bequatschen, das beste Hähnchen am Stock/Schawarma/Kartoffelgebrät warte auf sie und müsste unbedingt verkostet werden.

Bei Licht betrachtet besteht die steinerne Stadt im Wesentlichen aus unsäglich dicht aneinander gezimmerten Wohnklötzen mit variabel kolonialem Charme. In den dunkleren Ecken mischen sich trotz zahlloser Kameras Abfall und Uringestank. In den helleren Ecken schieben die weißen Touristen einander vor sich her. Dicke Frauen kaufen leichte wehende Kleider, die sie schlank erscheinen lassen sollen, dünne Frauen kaufen sich zu Armreife windende Massai-Krieger, die Wandervögel Kühlschrankmagneten und vermeintlich historische Artefakte zur Dekoration der heimischen Wohnung. Praktisch ist, dass jedes der inhabergeführten Etablissements die gleichen Unikate verkloppt.

Alles in Stonetown ist Hakuna Matata. Niemand hat hier ein Problem mit irgendetwas. Am wenigsten, die durch die Gassen knatternden Mopeds, deren Fahrern nicht all zu viel an ihrem Leben zu liegen scheint. Hinter kunstvoll mit Messing-beschlagenen Türen darf man in der kolonialen Vergangenheit wühlen und Rupien aus Deutsch-Ostafrika als Souvenirs erstehen oder in Handarbeit hergestellte Marmeladen und Seifen – die Sansis kennen ihre weiße Kundschaft und deren Verlegenheit, Nippes mit in die Heimat schleppen zu müssen. Um sieben schließlich signalisiert die Dunkelheit den Ladenschluss. Klappe dicht, Affe tot, alles strömt ans Wasser, wo weit aufgerissene Augen dem Open-Air-Kino folgen und in den dunklen Ecken, in die der olle Mullah nicht guckt, wandert schon mal die Hand unter die Abaya der Nachbarin. Wie gesagt: Hakuna Matata und plötzlich ist dann auch wieder das Gepäck von Wandervogel 1 am Start. Das gute Gefühl frischer Unterhosen.

Mzungu. Ostafrika 2018: Mit Präzision nach Tansania

Das elende Gezuckel durch die Hauptstraßen von Entebbe hat den Wandervögeln den Ort gründlich verleidet. Statt wie geplant einen Tag lang durch die ungandische Hauptstadt zu ziehen, verschimmeln die Reisenden am Pool der Backpacker-Unterkunft. Doch der Frieden soll nicht lange währen. Geschäftstüchtig wie die Betreiber von sich glauben mögen, eröffnen sie den Freizeitbereich der Unterkunft gegen ein Handgeld auch Außenstehenden. Links vom Pool dilettieren Urlauber gegen Einheimische im Beach-Volleyball, am rechten Beckenrand gibt ein Vater seinem Kind Schwimmunterricht. Dazwischen junge Entebberrinen und Entebber, die sich mit möglichst ungelenken Sprüngen vom Beckenrand zu übertreffen versuchen. Ausgelassene Menschen, die sich ungehemmt des Lebens freuen – der Horror.

Damit das Abenteuer dem Titel gerecht wird, brechen die Wandervögel am Folgetag zur Weiterreise in das benachbarte Tansania auf. Auf zu dessen halbautonomem Sansibar, um genau zu sein, um dort durch die Atolle zu schnorcheln, sich die Füße im strahlend weißen Feinkorn-Sand zu verbrennen, und diese von der rauschenden Brandung versöhnlich kühlen zu lassen. Doch vor den angestrebten Freuden steht ein weiterer unsäglicher Reisetag in der Verantwortung von *Trommelwirbel* Precision-Airways. Was kann bei so einem bescheidenen Namen schon schiefgehen? In bester Pannenvogel-Manier schallt aus den Kehlen der Stammleserschaft ein schadenfreudiges „ALLES!“ Und so soll es dann auch kommen.

Dass der Name der Fluggesellschaft sich nicht auf Pünktlichkeit bezieht, schließen die Reisenden aus der Tatsache, dass der Flieger weder an Ort und Stelle ist, noch das Flughafenpersonal in der Sache informiert ist. Irgendwann dürfen die Wandervögel dann über das Rollfeld über eine klapprige Treppe in den Bauch einer Propellermaschine klettern, die für den Tag ihr Zuhause werden soll. Entebbe, Kilimanjaro, Daressalam und viele Stunden, Starts und Landungen später schließlich dann auch Sansibar, wo die durchgerüttelten Wandervögel nach der Landung zusammen mit den anderen Passagieren im Gänsemarsch über das Rollfeld zucken. Aufgrund ihrer Zerstörtheit wissen die Wandervögel die poetische Symmetrie des Reiseverlaufs nicht zu würdigen und schleppen sich in ein Terminal, das den Husumer Bahnhof hauptstättisch wirken lässt.

Statt für die Beförderung des Sperrgepäcks auf die etablierte Lösung mechanischer Förderbänder zu setzen, legt man in Tansania Wert auf die persönliche Bindung. Die warnbewesteten Schleppo-Beppos hieven die Gepäckstücke auf Handkarren, ziehen diese über das Rollfeld und laden die Fracht schließlich Stück für Stück in der Ankunftshalle ab. Ihrem Namen alle Ehre machend, haben Precision Airways das Gepäck von Wandervogel 1 präzise verschlampt. Kein Problem für das Personal der Fluglinie, das darauf besteht, dass nichts verloren gegangen sei. In der Precision-Version der Ereignisse, hat sich die Tasche von Wandervogel 1 nämlich in einen zermatschten Rollkoffer verwandelt, den die Wandervögel doch bitte als den Ihren annehmen sollen – schließlich würde doch die Farbe stimmen. Die Wandervögel machen klar, dass sie dem Prinzip „Wundertüte“ nichts abgewinnen können und machen sich an das Ausfüllen der Verlustmeldung.