Mzungu. Ostafrika 2018: Teure Schnappschüsse

Über den Buschfunk verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer unter Polizisten und Militärs: Die Wandervögel haben einen Fahrtag und wollen die 380 Kilometer vom Murchison Park nach Kampala abreißen. Die Schilling-prallen, schlachtreifen weißen Martinsgänse kommen angeknattert. Fahren brav weit unter den zuläßigen Höchstgeschwindigkeiten durch ärmliche Andeutungen von Zivilisation, die sich mit Wildnis abwechselt. Barfußkinder, Busch, Barfußkinder, Busch. Wider erwarten zeigen die uniformierten Wegelagerer wenig Interesse, nach dem absehbaren Herauswinken folgen aufgesetzt freundliche Plausche über Abfahrtsort und Fahrtziel, verbunden mit dem Hinweis stets vorsichtig zu fahren. Es läuft zu gut.

Beim Überqueren der Karuma Wasserfälle will Wandervogel 2 das brausende Schauspiel der Wassermassen festhalten und liefert mit seinem Vorhaben der Willkür eine Steilvorlage. Hinter einem Felsen am Brückenkopf springt ein fleckgetarter kleiner Ugander mit Kalashnikov hervor. Geschrei, Gestikulieren, mehr Geschrei. Links ranfahren. Geschrei, Geschrei, Geschrei. Das Fototelefon solle er hergeben. „No photo, no photo, no photo. Get out car. Give phone here.“ Den Mangel an grammatikalischer Kompetenz macht der Schreiende und fortlaufend anlaufendere Flecktarn-Gnom durch Lautstärke wett. Zack ist das iPhone weg. Mit dem Karabiner winkt er Wandervogel 2 auf die andere Straßenseite zum Prozess. Der folgt den Anweisungen achselzuckend.

Das Schauspiel beginnt. „I am so sorry!“ „What you sorry for?“ „You seem to be angry. I am very sorry for that.“ „Angry, angry, why angry?“ Wandervogel muss in den ausgespuckten Worten die Frage erst erkennen und passt sich schlagartig dem Sprachniveau an, um einer weiteren Komplizierung der Lage vorzubeugen. „Angry because photo?“ Volltreffer, das war das Stichwort um die Angelegenheit zur Eskalation zu bringen. Der Gnom schreit speiend seine rhetorischen Fragen und schwenkt dabei triumphierend das Smartphone: „Who tell you to make photo? Why you make photo here? Who tell you?“ Der Speichel schlägt Blasen in seinen Mundwinkeln, er jappst und deutet hinter den Wandervogel auf seinen Kollegen. „You speak collegue.“ Ring frei für Runde zwei.

Der jüngere Kollege begrüßt den Wandervogel mit den Worten „Hello, big white man!“, denen er einen ironischen Unterton verleiht, wenngleich sie den Wandervogel in der gegenwärtigen Konstellation recht klar beschreiben. Der big white man fragt, ob ein Geldgeschenk dazu beitragen könnte, dass die Karabiner nicht mehr auf seine Person gerichtet, das Smartphone von Besitzer zu Eigentümer wechseln und die Wandervögel ihre Reise fortsetzen könnten. Verständnisvolles nicken, ein Griff in die Tasche, 20.000 Schilling sind das Erstgebot. Fragend blickt der Kollege zum Kollegen, das HB-Männchen geht steil. Geschrei. 20.0000? Frechheit! Zwan-zig-tau-send! Das müsse man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. ZWAN-ZIG-TAU-SEND für so eine Tat. 50.000 und die Sache ist geritzt. Angenehme Weiterfahrt und immer an den Blutdruck denken.

Bei der spätnachmittaglichen Einfahrt erscheint die ugandische Hauptstadt als ein in den letzten Zügen liegender Patient. Die mittlerweile viel zu engen brüchigen und vielgeflickten Adern verstopft von Moped-Taxis, übervollen Kleinbussen und Kleinwagen mit von Rissen durchzogenen Frontscheiben. Je größer die Nähe zum Herzen der Stadt, desto stärker pumpt der Druck die blechernen Klumpen schwallweise durch die Kreuzungen und Kreisverkehre, an denen Ampeln lediglich dekorativen Charakter haben und selbst basale Verkehrsregeln außer Kraft gesetzt werden. Minutenlang ruht Kampala regungslos und ohne Puls, dann wieder ein Aufbäumen, Aufatmen und erneutes In-sich-Zusammensinken. Todgesagte leben lang. 13 Kilometer ugandischer Innenstadt in 180 Minuten.

Mzungu. Ostafrika 2018: Nilistisches Geflatter

Nach einer durchschwitzen Nacht im Hotel Nirgendwo setzen die Wandervogel die Reise in den Murchison Nationalpark fort. Bei Tageslicht mutet die asphaltierte Straße weit weniger bedrohlich an. Jedoch zeugen zu blutigfelliger Schmiere zerfahrene Kleinsäuger davon, womit sich die Wandervögel bei einer nächtlichen Weiterfahrt hätten amüsieren dürfen. Irrer noch: In Fahrbahn-Schlaglöchern wachsende mit Flatterband dekorierte Bäume und Fahrzeuge bespringende Paviane, die auf deren Motorhauben hocken. Ausnahmsweise haben die Wandervögel alles richtig gemacht.

Es folgt das übliche Afrika-Idyll. Mit Zuckerrohr überladene LKW locken herabfallende Stengel aufklaubende Kinder auf die Straße. Die Schulklasse wird im Sportunterricht mit Macheten ausgestattet und mäht mit ausladenden Schwüngen die Grünfläche der Bildungseinrichtung. Im Schatten der Bäume wegelagern die korrupten Polizisten. Hallo. Alles klar? Tolles Land, oder? Ach aus Deutschland. Ja Deutschland sei bestimmt auch toll. Gerne hätte er was aus Deutschland. Wandervogel 2 drückt dem Schwein die halbleere Tüte Weingummi-Mini-Schnuller in die Hand. Oh Mini-Schnuller? Die Irritation reicht für die Weiterfahrt die nach Stunden im Drei-Sterne-Zeltlager mit Seeblick vor den Toren des Murchison Nationalparks endet.

Die Einfahrt in das Wildreservat erweist sich als eine weitere Nervenprobe für die Fahrerin und den bequemen Beifahrer. Die von Sumpfland gesäumte Buckelpiste weicht einem See von unbekannter Tiefe. Wandervogel 1 bedeutet dem Beifahrer auszusteigen und den See auf Passierbarkeit hin zu prüfen. In Ermangelung eines Stocks oder ähnlicher Werkzeuge tritt Wandervogel 2 vorsichtig den Marsch in das Nass an. Zwar reicht der See ihm an seiner tiefsten Stelle lediglich bis zum Knie, an Dämlichkeit ist das Bildnis des kurzhosigen weißen Mannes auf Kneipkur im Busch allerdings kaum zu überbieten. Es folgt ein Festfahren mit Aufsetzen, dass sich jedoch durch den gezielten Einsatz von eigener Muskelkraft auflösen lässt. Schade, um die frische Hose.

Das gelangweilte Personal am Parkeingang weiß mit den Eintrittskarten ebensowenig anzufangen wie mit den desbezüglichen Erklärungen der Reisenden. Nach einer Viertelstunde Zeitvergeudung in der sengenden Sonne erscheint die Frau vom Schrankenwärter Thiel, die dem Unsinn ein Ende bereitet, indem sie die Karten durch das Lesegerät zieht und eine gute Weiterreise durch die Anlage wünscht. Purer Zynismus, wie sich nach wenigen Metern herausstellt: die Fahrt auf der verschlaglochten und weggeschwemmten Nationalpark-Buckelpiste gleicht einer nicht enden wollenden Wurzelbehandlung ohne Betäubung. Die Tierwelt scheint das Geratter und Geschepper des Wandervogel-Mobils nicht zu scheren. Antilopen, Warzenschweine und Elefanten lassen sich nicht stören. Nach einer guten Stunde stehen die Wandervögel dann am Nil.

Aufgrund positiver Erfahrungen auf dem Wasser entschließen sich die Wandervögel zu einer Flußkreuzfahrt. Mit an Bord eine Horde betagter All-inclusive Holländer. Aufgrund der aufziehenden Gewitterwolken beschließen die verweichlichten Tulpenzüchter sich in Plastikponchos zu hüllen, deren Geflatter die klangliche Untermalung für den Rest der Flussfahrt darstellt. In viel zu großer Entfernung geht es vorbei an Flusspferden, Elefanten und Rothschild-Giraffen hin zu den aus seesicht unspektakulären Murchison Falls, deren Spülkraft schmutzig schaumige Kronen auf dem Nil produziert. Nach der unterwältigenden Schifferei, entschädigt der Zufall: In Spuckweite des parkenden Wandervogelmobils frisst sich ein Elefant am Ufergrün satt und läßt sich dabei aus nächster Nähe bestaunen.