Mzungu. Ostafrika 2018: Ende in the Gelände

Der Fahrtag des Grauens beginnt um halb sechs. Wandervogel 1 will jeden verfügbaren Strahl Tageslicht nutzen, um die Strecke von den Schimpansen nach Pakwach am Murchison Nationalpark zurückzulegen. Statt dem üblichen 500-Kilometer-Treck auf der laut Karte asphaltierten Autobahn um den Nationalpark, hat die Fahrerin sich eine Profistrecke zurechtgelegt, über die sogar einheimische Reiseführer staunen („Yes… you could try that. It seems possible.“) Über eine Rallye-Strecke und mit einer Fährüberfahrt will die Reiseleitung 150 Kilometer einsparen. 350 Kilometer Uganda in 14 Stunden. Was kann da schon schiefgehen?

Nach zwei Stunden unbefestigter Schlaglochpiste und immerhin 60 absolvierten Kilometern gelangt der Verkehr in einem Dorf im Nirgendwo zum Erliegen. Überladene LKW und zerschundene Kleinwagen parken am Straßenrand und es wird verkohltes Hähnchen am Stock serviert – ein Unfall, Straße gesperrt, nichts geht mehr. Nicht akzeptabel für die Wandervögel, die sich von der Dorfjugend die Einfahrt zur streng geheimen Umgehungsstraße zeigen lassen. Also wenden, am zerfallenen Haus links abbiegen und dann immer gerade aus. Was kann *da* schon schiefgehen?

Nach der rotstaubigen Geröllpiste kommt Mutterboden. Links und rechts der geheimen Umgehungsstraße dichtes urwaldliches Grün. Aus dem vor den Wandervögeln liegenden Herz der Finsternis dringen ächzende Kleinwagengeräusche und tatsächlich schießt aus dem Busch ein ehemals weißer Toyota Corolla durch das Unterholz und kommt vor der Kühlerhaube des Wandervogel-Mobils zum Stehen. Es entspinnt sich zwischen den Parteien eine kurze Diskussion, an dessen Ende die Wandervögel an den Rand des Sumpfes zurücksetzen und den Corolla passieren lassen. Das Edelmut nicht stets die beste Idee ist, zeigt sich beim Versuch, die Fahrt fortzusetzen.

Spritzender Schlamm, durchdrehende Reifen, heulender Motor und stinkende Auspuffgase. Langsam aber sicher frisst sich das Wandervogel-Mobil bis zur Ölwanne in den weichen Untergrund und dreht sich dabei langsam aber stetig quer zur Fahrbahn. Ende in the Gelände. Still verabschiedet sich die Reiseleitung von der letzten Fähre, zieht die Handbremse an und zieht den Schlüssel aus der Zündung. Ein leiser zweisilbiger Fluch, Seufzen, Stille. Zweigbrechenden Geräusche aus dem Unterholz folgt der Anblick einer Handvoll in Lumpen gehüllter Kinder, die fröhlich auf das Debakel zusteuern. „Give us money! Give us money!“ Wandervogel 2 hat eine bessere Idee und fordert den Anführer der Horde auf: Give me your Gartenhacke!

Schwungvoll geht es in den Modder. Hack! Hack! Hack! ist das Fahrzeug freigebuddelt und mit gefühlvollen Fahrbewegungen manövriert Wandervogel 1 die Kiste zurück in den festeren Modder. Bonbons als Leihgebühr, Geld dann beim nächsten Mal. Das lässt dann ungefähr 200 Meter auf sich warten und diesmal steckt die Gurke dann amtlich im Pudding. Wandvogel 1 flucht nicht mehr. „Nein. Nein. Nein.“ widerfährt es der Fahrerin, als die Pläne einer Ankunft bei Tageslicht zerschmelzen wie das wässrige ugandische Tankstelleneis in der Sonne. Doch die Wandervögel sind mit ihrem Leid nicht allein, mittlerweile stecken drei weitere Fahrzeuge unbeweglich im Modder und rufen die örtlichen Feldarbeiter auf den Plan.

Der gezielte Einsatz von Hacken, Stockwerk und Ziegelsteinen besorgt schließlich die Weiterfahrt. Diesmal gibt es dann auch ein paar Schillinge, damit sich die Landwirte ein paar Belohnungsbiere trinken können. Insgesamt ein lukrativer Tag für den Ort im Nirgendwo. Doch ob der Zerstörtheit des Zeitplans liegen die Nerven der Reiseleitung blank und jedes der zahllosen Schlaglöcher auf dem weiteren furchtbaren Weg setzt dem neuronalen Geflecht weiter zu. Statt Linderung befeuert die schließlich hereinbrechende Dämmerung in Kombination mit der 180 Kilometer währenden Reststrecke das Unwohlsein. Als die Wandervögel schließlich die asphaltierte Straße erreichen ist es Nacht im echten Afrika.

Auf Seitenstreifen der unbeleuchteten Schnellstraße wimmelt es von unbeleuchteten Einheimischen, deren Sichtbarkeit qua ihrer Hautfarbe eher im Unsichtbarkeitsspektrum zu verorten ist. Quer über die Straße verlaufende Betonschwellen stören krachend den Fahrbetrieb während mit Fernlicht blendende LKW ihren Anteil dazu beitragen, die Reisegeschwindigkeit auszubremsen. Nach einer halben Stunde Nachtfahrt beschließt Wandervogel 2, dass Schluss mit lustig ist. Nach einer Kehrtwende finden die Zerstörten tatsächlich ein elektrifiziertes Hotel mit fließend Wasser und Bierkühlschrank. Die Flasche auf und ab unter das Moskitonetz.

Mzungu. Ostafrika 2018: Gestatten, Jim Pansen

Nach den Gorillas ist vor den Schimpansen und so quälen sich die Wandervögel erneut vor Sonnenaufgang aus dem Zelt. Mit ihrem Ansinnen sind sie nicht allein, fast alle Gäste der Herberge scheinen den gleichen Plan zu verfolgen. Nicht verwunderlich, denn schließlich gibt es in Bigodi nicht viel mehr zu tun als im Busch nach Schimpansen zu suchen. Bevor es in den Dschungel geht, dürfen sich die Wandervögel noch zu Rettern in der Not aufschwingen: Die Zeltnachbarn aus Berlin haben sich einen Platten eingefahren, so dass die Reisenden sich als Chauffeure anbieten.

Im Busch angekommen bleiben Kindertänze erspart und stattdessen gibt es affige Fakten über 1.450 Schimpansen, die im Nationalpark leben und sich auf 13 Gruppen von je etwa 120 Tieren aufteilen. Lediglich fünf der Gruppen seien an Menschen gewöhnt so der Flecktarn-Dozent, die anderen müssten erst noch dafür begeistert werden, sich begaffen und fotografieren zu lassen. Nach den Gorilla-Erfahrungen aus dem Bwindi Impenetrable Forest auf das Schlimmste vorbereitet stehen die Wandervögel in voller Montur bereit – Gamaschen inklusive. Allerdings entpuppt sich das Trecking schnell als Regenwaldspaziergang.

Auf ausgetretenen Pfaden geht es durch das lichte Unterholz. Aus ferner Höhe dringen schrille Schreie heran. Nach einer knappen Dreiviertelstunde steht die teutonische Wandergruppe, der die Wandervögel zugeteilt wurden, dann unter Wipfeln, in denen sich die Schimpansen ihr Nest gebaut haben. Dichtes Blattwerk behindert die Sicht und das Naturerlebnis verkommt zum Hörspiel für Vorstellungskräftige. Zu allem Überfluss überkreuzen sich die Pfade mit denen einer anderen Expedition, so dass ein ganzes dutzend von vier schwarzen Rangern bewachte Weiße im Gänsemarsch durch die Botanik schlurfen.

Schließlich jedoch geben sich die Affen geschlagen und lassen sich aus den Baumkronen auf die Erde fallen, wo sie sich breitbeinig in Pose werfen. Um verwackelten Aufnahmen entgegenzuwirken, stellen sich die Tiere alsbald tot. In der Konsequenz kommt es zu einer bizarren Situation: Zehn in bunte Regenkleidung gehüllte Touristen stehen eine Viertelstunde lang unbeweglich im Urwald und fotografieren tausendfach reglose Primaten. Die höher entwickelten Wandervögel indes fotografieren die Touristen. In letzter Konsequenz: Gorillas > Schimpansen.

Nach einem erneuten Chauffeur/Samariter-Engagement, können die Wandervögel im Basislager ihre handwerklichen Kompetenzen unter Beweis stellen. Die Ablehnung des Hilfsangebots ignorierend macht sich Wandervogel 2 mit routinierten Handgriffen am Wagenheber zu schaffen, während der Landsmann noch das Vorwort der Broschüre „Was tun bei einem Plattfuß“ studiert. Mit ausladenden Bewegungen dreht der Profi an der Kurbel, als hätte er erst gestern seinen seligen Citroen Visa „Torpedo“ aufgebockt. In einem Land ohne ADAC muss man sich eben selbst zu helfen wissen – der nächste Plattfuß kommt bestimmt.

Mzungu. Ostafrika 2018: Canale Grande

Der Kazinga-Kanal ist eine natürliche Wasserstraße, die Lake Edward und Lake George miteinander verbindet. Was andere aus Reiseberichten lernen, erfahren die Wandervögel von Martin, der sie während einer Flussfahrt mit Fakten über die hiesige Fauna überschüttet. Um nicht erneut den teuren Eintritt in den Nationalpark zahlen zu müssen, besteigen die Wandervögel ein Community-Boot und unterstützten so total die Wirtschaft vor Ort, anstatt ihre begehrten Euros dem korrupten ugandischen Staat in die Taschen zu stecken. Soviel Engagement wird dahingehend belohnt, dass die Wandervögel den Kutter für sich alleine haben, viel Raum ohne nervtötende Mitreisende.

Mit soviel Glück nicht genug, serviert Martin den Wandervögeln das volle Programm. Auf Nilpferd-Familien und Nil-Krokodil folgen die Elefanten-Familien, auf die die letzte Tour vergebens gehofft hatte. Frech hatten die sogar gemutmaßt, ein Handlanger von Martin würde Elefantendung am Ufer ausbringen, um die Anwesenheit von Elefanten zu suggerieren. Haltlose Vorwürfe. Vor den Augen der Wandervögel zieht ein Adler sich einen kolossalen Fisch aus dem Kanal und Echsen kopulieren was das Zeug hält – tatsächlich mutet der sexuelle Akt zwischen den Kaltblütern eher wie ein Kampf auf Leben und Tod an. Oxpicker flattern auf grasende Büffel, um diesen die Insekten aus dem Fell zu picken.

Doch alles Schöne muss mal enden und die Wandervögel bis zum Abend viele Kilometer fressen. Besorgt um die inneren Werte des Gefährtes fährt Wandervogel 1 eine Tankstelle an: „Volltanken und Durchchecken, bitte!“ Das Tankstellen-Personal entpuppt sich als Komiker-Truppe. Zu zweit schrauben die Servicekräfte am Tankdeckel, der Schmieraffe verbrennt sich die Hand, als er im Motorraum an Deckeln schraubt, die mit „Caution hot“ markiert sind. Als besondere Serviceleistung empfiehlt der Chef-Komiker ein Durchpusten des Kühlers mit Druckluft, woraufhin er verschwindet und in den folgenden fünf Minuten auch nicht wieder auftaucht. Die Türen zu und ab dafür.

Der Weg soll die Wandervögel in Richtung Fort Portal führen und lässt sie Zeuge eines Wunders werden: ugandischer Straßenbau live und in Farbe. Während ein Warnbewesteter durch einen Feldstecher blickt, vermessen Unbewestete mit einem Meterbandmaß den Abstand zwischen zwei Stöckchen. Geland räumen junge Menschen Findlinge aus dem roten Staub. Ein Laster kippt Schotter ab. Eine Planierraupe planiert. Um den Wahnsinn nicht zu stören, führen menschliche Verkehrszeichen die Fahrzeuge am Baustellenbereich vorbei: wild grüne und rote Fahnenschwenker. This is the real Africa.

Da den Reisenden langsam die Knitten ausgehen, müssen sie dringend eine Bank machen. Eine Herausforderung angesichts der Tatsache, dass es in Uganda einfacher ist Malaria zu bekommen, als eine VISA-Karte an einem Bankomaten einzusetzen. Angekommen in Fort Portal fragt Wandervogel 2 einen Einheimischen nach dem Weg. Da er aus seinen Ausführungen nicht schlau wird, verfrachtet er ihn kurzerhand in das Wandervogel-Mobil, damit er die Urlauber durch die Mini-Metropole lotst. Klappt tadellos, es empfiehlt sich eben immer, einen Einheimischen im Auto zu haben. Was folgt ist das gute Gefühl „1.000.000“ am Bankomaten einzugeben.

Und wieder soll die Ernüchterung der Euphorie den Garaus machen. Den Kofferraum voller Geld biegen die Wandervögel nichtsahnend auf die Piste zum Kibale-Nationalpark. Licht aus. Wolkenbruch an. Alles, aber auch alles was in höheren Höhen an Feuchtigkeit gespeichert ist, ergießt sich auf das Wandervogel-Mobil. Die ächzenden Wischer arbeiten hart daran, sich aus den Verankerungen zu reißen. Stakkato auf der Frontscheibe. Ströme von Mutterboden, die über den Asphaltflickenteppich reißen. Von hektischen Atemzügen bis zur Undurchsichtigkeit beschlagene Scheiben. Inferno. Doch Wandervögel lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit entspannten 20 km/h reiten die Weltenbummler auf der Welle der Apokalypse. Und am Ende wird schließlich doch immer wieder alles gut.

Mzungu. Ostafrika 2018: Kirchentag mit Kalashnikov

Religion scheint in Uganda noch eine Bedeutung zu haben, denn am Sonntag machen sich die Einheimischen für den Kirchgang fein. Bei den Herren dominiert der Zweiteiler, die Damen hüllen sich in bunte Kleider und Tücher. Besonders viel Mühe dem lieben Herrgott zu gefallen gibt sich die junge Damenwelt, die mit hochgeschnallten Busen, tiefem Ausschnitt und goldenen Sandalen unter dem Sonnenschirm am Wegesrand in das örtliche Gotteshaus trippelt. Die Agnostiker schleppen auch am Sonntag Kanister, Reisig und Holz.

Zwischen Mahindra-Mopeds und Fuso-LKW rumpeln die Wandervögel durch Dörfer, in denen gespaltene Rinderschädel auf Öltonnen-Grills die Kundschaft begrüßen und die wenig Vertrauen erweckende Klinik, neben Auskünften zu Familienplanung, auf Hinweisschildern auch „kleinere Operationen“ anbietet. Nach einem Zwischenstopp an der örtlichen Benzinpumpe biegen die Wandervögel in den Queen-Elizabeth-National-Park ein, wo die legendären Baumlöwen von Ishasha in den Wipfeln der Savanne abhängen sollen.

Die Savanne entpuppt sich bei näherer Betrachtung als äußerst tierarm. Vielleicht hätten die Wandervögel eine der sicher preiswerten Karten am Parkeingang kaufen sollen? Nach gut eine Stunde haben die Reisenden lediglich die schreiend roten Gesäße von Pavianen vor die Linse bekommen und die Schnauze so richtig voll, dass sie zu einer verzweifelten Tat schreiten. Sie nehmen die Dienste einer käuflichen Person in Anspruch. Für 20 Dollar steigt eine Park-Rangerin in das Wandervogel-Mobil, die verspricht die Tierverstecke zu kennen. Für den Fall, dass wilde Tiere zu Nahe kommen, trägt sie eine Kalashnikov lässig über der Schulter.

Tatsächlich dauert es keine 20 Minuten bis die ersten Büffel vor die Linse kommen, gefolgt von langhornigen kopulierenden Impalaartigen und Warzenschweinen. Von den legendären Baumlöwen allerdings keine Spur; zumindest keine für die Wandervögel ersichtliche. Anders scheint es der Rangerin zu gehen, die an den Gabelungen der Rumpelpfade zielstrebig das Abbiegen bedeutet. Neben einem Schild, dessen Aufschrift darauf hinweist, dass das Abbiegen vom Weg mit einer 150-Dollar-Buße geahndet wird, fordert Madame Kalashnikov zum befahren des Grünstreifens auf.

An der Klippe einer Anhöhe blicken die Wandervögel in ein Tal mit einem Baum und in diesem aalt sich, mit viel Fantasie, ein Eingeborener im Baumlöwen-Kostüm. Klack, Klack, Klack, die wackeligen Schnappschüsse im Kasten und dann nichts wie zurück auf die Straße. Just als die Expedition wieder auf dem korrekten Pfad angekommen ist, kommt eine Safari-Tour heran geprescht, biegt munter in die Botanik ab und hält nach dem Baumlöwen-Baum Ausschau. Fröhlichen Mutes macht sich die Rangerin auf den Weg, um die Illegalen auf das Halteverbot hinzuweisen. Ein lukrativer Zuverdienst.

Der Abend endet für die Reisenden schließlich im Zeltlager. Inmitten des Nirgendwo, nahe am Kazinga-Kanal, kippen sie ihre Klamotten in einer Freiluft-Behausung ab und genießen von der naheliegenden Terrasse bei einem Bier zum Webervögel-Konzert den Blick auf streunende Elefanten. So idyllisch-exotisch der Anblick, stellt sich das Nachtlager schließlich als tückisch heraus, denn trotz bewaffnetem Wachmanns schläft man aufgrund des nahen Trompetens und Löwengebrülls nur so mittelfest. Im Morgengrauen gibt sich das Tierreich die Klinke in die Hand, nach dem Abziehen der Großsäuger legen die Piepmätze los. Der Ruf der Wildnis kennt keine Atempausen.