Mzungu. Ostafrika 2018: Auf Augenhöhe mit dem Silbernacken

Der Tag, an dem sich der Lebenstraum von Wandervogel 1 erfüllen soll, beginnt viel zu früh, aber das Programm kennt keine Gnade. Gewaschen und von Kopf bis Fuß ausstaffiert stehen die Wandervögel bereit für das Gorilla-Trecking. Ganz besonders die Reiseleitung, die sich sogar mit Gamaschen und Lidl-Gartenhandschuhen ausstaffiert hat. Ähnlich ausgestattet die geriatrische Reisegruppe aus Amerika, die jedoch dem Zirkus mit Dschungel-Hüten die Krone aufsetzt.

Vor dem Abenteuer ist jedoch Sitzfleisch gefragt. Die örtliche Grundschule hat ein Folklore-Programm einstudiert. Was mögen schwerreiche Weiße lieber als kleine Afrikaner in fransigen Röcken die springlebendig hopsend zum treibenden Klang einer Buschtrommel ihre Gliedmaßen durch die Gegend schleudern und dabei vokalreiche Gesänge schmettern. Das zweifelhafte Schauspiel endet mit kurzen Vorträgen, in denen die Grundschüler ihren Namen, ihr Alter und ihren Berufswunsch mitteilen. Herzerweichend. Fast.

Die große Verwirrung bricht aus, als dem Tourenleiter klar wird, dass die Wandervögel auf ein Treffen mit den Babygorillas bestehen. Die nämlich befinden sich in einem völlig anderen Teil des Nationalparks als dem, in dem sich das unsägliche Folklore-Fest zugetragen hat. Also den Reiseleiter unter den Arm, ab ins das bislang treue Toyota-Mobil und zurück auf die verhasste Schotterpiste. Eine Stunde „ugandische Massage“ – der Scherz des Tourguides zündet wie ein Schuss in den Fuß.

Während die Wandervögel mit zusätzlichem Ballast vorbei an winkenden Rotznasen und deren bestenfalls am Wegesrand steinekloppenden – Eltern knattern, konferiert der Tourguide per Walkie-Talkie mit dem Spähtrupp, der seit Stunden den Urwald auf der Suche nach den Primaten durchstreift. Unverständliches Swaheli, dann ein Fingerzeig in Richtung eines Kartoffelackers. Die irritierte Nachfrage von Wandervogel 1: „This way?!“ Ein strenges Nicken des Tourguides. Rein in die Kartoffeln!

Hinter den Kartoffeln beginnt der Impenetrable Forest, für andere vielleicht, aber nicht für die Wandervögel! Los geht der Gänsemarsch in das satte Grün, ein Umherschlittern auf zehn Zentimetern Humus, kontinuierliches Stolpern über Schlingpflanzen und im Schlepptau eine Horde aus verrenteten amerikanischen Akademikern, die sich jeweils die Dienste zweier indigener Träger erkauft haben und sich von diesen durch den Urwald ziehen und schieben lassen.

Nach einer knappen Stunde Kampf gegen die Vegetation zeigen sich die Objekte der Begierde. Eine Stunde Affenparty mit Silbernacken, die ihren eigenen Kot fressen und Monchichis, die bei ersten Kletterübungen die Tragfähigkeit der Botanik unterschätzen und mitsamt des Grün in die Bodendecker krachen. Das Ego von Wandervogel 2 als Bedrohung für seine Männlichkeit empfindend, stürmt das Familienoberhaupt auf den Weltreisenden zu, doch dieser verharrt und bedeutet mit dem Hochziehen eines Mundwinkels, dass die Chef-Frage kein Grund für eine körperliche Auseinandersetzung sein sollte. No rumble in the jungle.

Mzungu. Ostafrika 2018: Tragbare Infrastruktur

Nach einem Frühstück mit Seeblick machen sich die Wandervögel auf den Weg nach Buhoma, wo der affige Traum von Wandervogel 1 in Erfüllung gehen soll. Vorbei an den Wellblechverschlägen, zwischen denen der Markt für Kohl und Kunsthandwerk das öffentliche Leben vitalisiert, geht es zurück auf die Schotterpiste des Grauens. Überhaupt scheint sich tagsüber das Leben außer behäusig abzuspielen; verständlich gleichen doch die Hütten, in die die Wandervögel Einblick nehmen können, eher Verschlägen.

Die Ermangelung von für Westeuropäer selbstverständlicher Infrastruktur bestimmt den Tagesablauf in den ländlichen Gebieten des Landes, durch die die Wandervögel mit besserer Schrittgeschwindigkeit buckeln. Sobald die Körperbeherrschung es zulässt, schleppen selbst die Kleinsten einst orangene und mittlerweile blassgelbe Jerrycans mit Trinkwasser hinter sich her. Zu dürren Bündeln gebundene Äste sollen zusammen mit Holzkohle den geziegelten Herd befeuern. Wer nicht zum Palavern zusammensteht, der zieht oder schiebt ein Fahrrad mit irgendetwas, das bei den Wandervögeln daheim frei Haus geliefert wird.

Ob es an mangelnder Aufklärung, motivierenden Worten des Priesters oder einfach Spaß am ungeschützten Geschlechtsverkehr liegt – die Dörfer sind voller Kinder. Aus der Not eine Tugend machend, wissen diese sich ihre reichlich vorhandene Freizeit auch ohne Smartphone zu vertreiben. Hoch im Kurs steht der Klassiker „Stock und Reifen“. Statt um einen Fußball balgen sich die Kleinen um ein Knäuel aus Plastiktüten, das durch Plastikfolie zusammengehalten wird. Wenn alle Stricke reißen, weiß sich der Nachwuchs damit zu beschäftigen, den Klängen zu lauschen, die eine gegen einen Stein geschlagene PET-Flasche macht.

Während die Unter-Dreijährigen beim Anblick der Wandervögel bedingungslos freudestrahlend winken, verbindet die Kohorte der Drei- bis Achtjährigen das winkende Lächeln mit der Forderung nach Schokolade oder Geld. Bleiben beide unerfüllt, fangen sich die Wandervögel schon mal einen Tritt gegen die Stoßstange ein, in dem sich die kindliche Unzufriedenheit über die Gesamtsituation im Allgemeinen entlädt. Ältere Semester tragen bisweilen Anzug, doch statt aktueller Schnitte dominieren Moden, die in der westlichen Heimat in den Achtzigern dem Roten Kreuz übergeben wurden. Beeindruckend das Flickwerk, mit dem die Kollektionen noch immer zusammengehalten werden. Das hätte kein Verkäufer von Hertie und C&A je zu versprechen gewagt.

Bei all den Reizen sind die Wandervögel derart abgelenkt, dass sie blind den Anweisungen des Navigationsgeräts folgen, das sie schnurstracks und ohne Wendemöglichkeit in ein Bergdorf führt. Ende im Gelände. Ein freundlicher Anzugträger weist den Wandervögeln den offensichtlichen Rückweg. Flugs auf dem Dorfplatz gekehrt und ab dafür. Zurück auf der Hauptstraße unterbricht ein „Road Closed“-Schild die rumpelige Reise. Freundlich winkt ein Ordnungshüter und lädt die Wandervögel zum Plausch.

„Herzlich Willkommen in Uganda!“, sein Blick schweift über das Innere des Wagens, um wie die Hexe aus dem Märchen abzuschätzen, ob Hänsel und Gretel schon schlachtreif sind. Mit von Geilheit starrem Blick fragt er, woher sie her kommen, wohin sie wollen, wie es ihnen gefällt? In einfachstem Satzbau aber voller Pathos jubeln die Reisenden, dass sein Land ja total super sei. Kein anderer Ort auf der Welt käme ihm gleich. Ganz, ganz famos. Die Darstellung der beiden Laien scheint voll ausreichend, so viel überschwängliche Freude befeuert seinen Nationalstolz derart, dass er die Wandergänse nicht ausnehmen mag. Dann eine gute Fahrt. Aber immer schön Schrittgeschwindigkeit.