Mzungu. Ostafrika 2018: Willkommen im echten Afrika

Bei Einbruch der Dämmerung – die Wandervögel hätten längst angekommen sein sollen – weist die GPS-Navigationshilfe zum Abbiegen von der Hauptstraße. Die Kegel der Scheinwerfer fallen auf eine von Kratern durchzogene Schotterpiste, die das pockennarbige Gesicht von Jürgen Prochnow wie einen Babypopo anmuten lassen. Vor den Wandervögeln liegen die längsten acht Kilometer ihres Lebens, für dessen Bewältigung sie eine Stunde benötigen. Alles, aber auch alles Schlechte, was man über die „Straßen“ in Uganda hört ist wahr. Tatsächlich ist alles noch schlimmer. Unfassbar schlimm geradezu.

Da am Ende immer alles gut wird, kommen die Wandervögel schließlich im Jambo-Resort an – Namen, die man sich nicht platter hätte ausdenken können; möchte man meinen, doch bedeutet das auf Swahili „Moin“. Das Personal springt im Karree, mit dem Ankommen der Wandervögel gibt es endlich was zu tun! Hier der Begrüßungssaft, dort die Speisekarte, was darf es sein? Der Koch freut sich schließlich den ganzen Tag auf Kundschaft. Ziege? Leider aus. Frischer Fisch? Ach, sicher morgen wieder. Hähnchen? Klaro, zwei Hähnchen!

Nach anderthalbstündiger Zubereitungszeit hat der Maitre sein Werk vollendet: Für jeden Vogel eine dürre Keule in einem Meer aus Kartoffelvierteln. Ob Mayonnaise denn gewünscht sei? Ja, gerne! Ach, Entschuldigung, Mayonnaise kommt erst morgen wieder. Der Busch hat sein eigenes Timing. Den Rest des Abends verbringt der Jambo-Chef damit, die Wandervögel darüber aufzuklären, dass es keinesfalls ein Afrika gäbe. Tatsächlich gäbe es nach seinem Ausführungen ein Pillepalle-Afrika (hier: Südafrika und angrenzende Länder) und *the real Africa*, in dem sie sich gerade befänden. Der Stolz der Underdogs.

Besonders stolz ist der Hotelier auf eine körperliche Abnormität. Mit den Worten „I carry Africa with me all the time“ springt er in einem hohen Satz durch den Raum und landet neben dem Sessel in dem Wandervogel 2 bereits döst. Mit irren Augen blickt er den Reisenden an, tippt sich hektisch auf die Schläfe und ruft fortlaufend „Look! Here! Africa!“ Dank seiner immensen Auffassungsgabe und schier unermesslichen Fantasie ist der Wandervogel in der Lage, in der grauen Schläfe des Gastgebers die Umrisse des afrikanischen Kontinents zu erkennen.

Wie um die Eigenarten des echten Afrikas zu bestätigen, gehen die Lichter aus. Der Hotelhund, eine wadenbeißende Pudeltöle, an deren Zeugung augenfällig auch ein Rosettenmeerschwein beteiligt war, ist durch den Stromausfall derart agitiert, dass sie sich in einen Kläffanfall hineinsteigert. Das Kerzen anzündende Personal reagiert routiniert und versichert den Reisenden, dass es keinen Grund zur Sorge gäbe. Auch keine Gedanken müssten sie sich um warmes Wasser, Internet oder kühle Getränke machen. Na dann gute Nacht.

Mzungu. Ostafrika 2018: Die Queen bei Tempo 30

Vor den Wandervögeln liegt ein Fahrtag und die erste Belastungsprobe für den allrädrigen Gefährten. Knapp 400 Kilometer gilt es zu überwinden, um die vermeintliche Schönheit des Bunyonyi-Sees in Augenschein nehmen zu können. Nach einem Frühstück am See und flüchtigen Vogelbeobachtungen zu Classic-Rock geht es los. Der erste Stopp ist das örtliche Einkaufszentrum, wo die Reisenden unter den kritischen Augen des karabinerbehängten Militärs 1.000.000 der Landeswährung Schilling aus dem Bankomaten ziehen. Tatsächlich ist das Supermarktpersonal bereits mit 50.000er-Scheinen überfordert, denn Wechselgeld für 12,50 Euro muss erst beschafft werden.

Die flicklich wachsende Autobahn wird irgendwann zur Bundesstraße, an dessen Seiten sich sporadisch Siedlungen bilden. Deren immer gleiche Struktur gleicht der klassischen Westernstadt: Friseursalone mit kecken Namen wie „Boys2Men“, Schlachter mit freihängenden Rinderteilen, Gemüsehändler mit kunstvoll aufgeschichteten Warenpyramiden, Allesverkäufer mit einem breiten Portfolio aus China-Schrott. Wenn es gut läuft, eine Bank, wenn es richtig gut läuft, eine Videothek. Die Jugend hängt lässig beim Moped-Treff ab, die Alten schieben die mit Wasserkanistern beladenen Fahrräder den Straßenrand entlang.

Um den kostbaren Strom nicht zu verbraten, werden die Öfen mit Kohle befeuert. Darauf Dinge aus Ei, Gemüse und Teigfladen – Rolex; am Sonntag ein Ziegeneintopf. Mit ihren blonden Locken und der weißen Haut sind die bei Tempo 30 durch die Ortschaften knatternden Wandervögel eine den dörflichen Alltag bereichernde Attraktion. Rotznasige Mini-Menschen in Schuluniformen winken, was die Handgelenkchen hergeben und die Wandervögel lassen sich nicht lumpen und winken freundlich lächelnd zurück. Nicht exzessiv, sondern huldvoll und gediegen, wie es sich für die Nachfahren der Kolonialherren gehört.

Alsbald stellt sich jedoch heraus, dass die Routenplanung allzu optimistisch kalkulierte. Der Vorschlag der GPS-Intelligenz ließ örtliche Gegebenheiten außer acht. Vor allem, dass die maximal dreispurige endlose Straße von Verkehrsberuhigungen durchzogen ist, die alle paarhundert Meter das letzte bisschen Verkehrsfluss zerstören. Gelangweilte Polizisten etablieren Straßensperren mit Nagelbetten, lesen Zeitung am Wegesrand und verfolgen, wie ihr niederträchtiges Werk den Verkehr auf der Landstraße stört. Den Rest besorgen die mit Überseecontainern beladenen Diesel, die bei jeder Steigung auf Tempo 10 abbremsen.

Angesichts des nahenden Sonnenuntergangs, drängt Wandervogel 2 zur Eile und die Fahrerin lässt sich zu einem folgenreichen Überholmanöver verleiten. Fröhlich winkend bedeutet der Dorfsheriff in der der nächsten Kurve, dass er sich über einen kurzen Plausch mit den Reisenden freuen würde. „Welcome to Uganda“ heißt er die beiden willkommen, woher sie denn kämen, wohin sie denn wollten, das werte Befinden, jaja, soso. Auch übrigens, es gäbe da ein klitzekleines Problemchen. Sein Kugelschreiber deutet auf die Zeile eines Formulars, das mit den Worten „Reckless Speeding“ beginnt und mit dem Zahlenwert „200.000“ endet.

Ob er jetzt kurz das Verfahren erläutern dürfte. Die Wandervögel führen nun bitte 40 Kilometer zurück ihres Weges und zeigten dann bei der Polizeistation einen Zettel vor. Im Anschluss dann bitte freundlicherweise dort die vermeintliche Schuld begleichen und mit der Quittung wieder bei ihm vorstellig werden. Volles Verständnis seinerseits, dass dies der Tages- und Routenplanung völlig zu wider liefe, aber schließlich habe er sich ja auch nicht regelwidrig verhalten. Nach einer längeren Pause fragt Wandervogel 2, ob sich – angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit – die Angelegenheit nicht auch *anders* beilegen ließe.

Die ernsten Züge des Staatsbediensteten weichen auf, Verständnis vertreibt die Härte des Gesetzes. Was die Wandervögel denn vorschlügen, um die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen? Geistesgegenwärtig und den Ernst der Lage erkennend verwirft Wandervogel 2 seinen Plan, dem korrupten Schwein in Uniform ein Lakritz-Bonbon anzubieten. Dieser tut derweil proaktiv kund, dass man gegen Zahlung von 100.000 Schilling – angesichts der Schwere der unbeweisbaren Tat, ein Schnäppchen – die Weiterfahrt angehen könne. Allerdings, so schränkt er ein, würden die Reisenden dann auch keine Quittung erhalten. Machen wir dann mal so, Officer.