Supersized. USA 2018: Alwin und die Killer-Chipmunks

Nach dem Bryce Canyon steht der Zion Nationalpark auf dem erbarmungslosen Programm von Wandervogel 1. Aber wer was sehen will, der muss sich eben ranhalten. Zwischen den beiden Programmpunkten liegen hunderte Freewaykilometer durch steinwüstiges Nirgendwo, denn Utah kann auch Arizona. Einkehr halten die Wandervögel in einem Resort-artigen Motel, dem alle amerikanische Dekadenz und Oberflächlichkeit innewohnt. Die im Zimmer installierte Mikrowelle testen die totmüden wie abgebrannten Reisenden mit Macaroni & Cheese, atomar strahlender und lavaheißer Pampe, die 5-Minuten-Terrine „Nudeln in Rahmsoße“ (80er Edition) vergleichsweise zum Gourmetessen aufsteigen lässt. Doch der Hunger treibt‘s rein und die Glieder sind schwer und überhaupt und sowieso ist es viel zu spät.

Dem Wecker vorgriffig wird Pedro, der lässig in Aufsitzmäher vor dem Wandervogelhäuschen seine Runden dreht. Tatsächlich Runden, denn durch jahrelanges Training und seine Abstammung aus einer Rennfahrer-Dynastie ist er in der Lage, die Höllenmaschine fast auf der Stelle zu wenden. Ihm assistiert Paco, der mit einem benzinbetriebenen Rasenkantentrimmer das letzte Bisschen Schlaf verscheucht. Wen das nicht hochscheucht, um den kümmert sich Julio, der mit einem Laubpuster die von Paco abgetrennten Grashalme zurück auf die von Pablo beackerte Fläche bläst, wo dieser zu guter Letzt alles knatternd zusammenkehrt. Hauptsache, es sieht alles ordentlich aus.

Das Frühstück eröffnet tiefe Einblicke in die amerikanische Volksseele. Die Wandervögel ziehen sich aus Automaten Kaffee und Saft in Einwegbecher, legen sich auf ihre Pappteller das Plastikbesteck, einen vorgeschnittenen Bagel und portionsweise verpackte Marmelade, Erdnussbutter und Streichfett. Mit all den abgepackten Frühstückskomponenten nehmen sie an einem erhöhten Tresen platz, von dem aus sie den Speisesaal überblicken. Was sich ihnen als Live-Unterhaltung bietet, ist eine Neuauflage von „Das große Fressen“. Orchestriert von einem hinter einer Tresenfront stolzierenden Waffelbäcker, der die zuckergeilen Massen mit ihrem Stoff versorgt. Frisch aus dem Eisen werden die Teigwaren ertränkt in Sirup, Schlagsahne und Erdbeeren, bis sich der Inhalt des Papptellers in einen Freifahrtschein (einfache Fahrt) nach Diabetes Mellitus verwandelt.

Einen obszönen Berg Plastikmülls zurücklassend, machen sich die Wandervögel auf in den Zion Nationalpark. Doch vor dem Naturerlebnis kommt das Parkplatz-Inferno, denn sie sind mit ihrem Ansinnen nicht allein. Auf ihrem illegalen Parkplatz werden sie von einer faltigen Parkwächterin im Vorbeifahren passiv-aggressiv angebafft: „Just wanted to let you know, this is NOT a parking area“, bevor sie davonradelt und hoffentlich einer Bärenfamilie zum Beef-Jerky-Snack (dry aged) gereicht. Kurz vor dem Zusammenbruch werden die Wandervögel dann doch noch fündig, parken die Gurke, satteln die Rucksäcke, laschen die Sandalen und machen sich auf in die Berglandschaft.

Auch im Zion-Nationalpark herrscht reger Busverkehr, um die Naturliebenden zu den weit auseinander liegenden Wanderungsausgangspunkten zu kutschieren. Aufgrund der unsäglich nichtssagenden Beschilderung und ein klein wenig auch wegen unzureichender Vorbereitung steigen die Wandervögel ein ums andere Mal an falschen Stationen aus, haben durch die Fahrerei jedoch die Möglichkeit, Warnhinweise in den Bussen zu verinnerlichen. Besonders geschockt ist Wandervogel 1 vom Bild einer zerschundenen Hand. Die Kratzer und eiternden, schlecht vernähten Wunden sollen von dem unbedingt zu vermeidenden Kontakt mit Wildtieren warnen. Was ein Erdhörnchen so alles anrichten kann.

Dünnluft jappsend erreichen die Wandervögel nach Stunden tatsächlich den aussichtsreichen Gipfel Angel‘s Landing. Der ohnehin kräftezehrende Weg wird durch unerwünschte Begleitung kompliziert. Immer wieder nähern sich possierliche Puscheltierchen an, vor denen die bussige Aufklärungskampagne eindringlich warnte. So malt sich die Reiseleitung dann auch umgehend aus, wie die Chipmunks alle Gliedmaßen von Wandervogel 2 abnagen, als seien sie Piranhas auf Landgang, nur um einen stumpfigen Torso im Gebüsch zurückzulassen. Um dieses Schicksal abzuwenden, bedeutet sie den Wildtieren fortlaufend, Abstand zu halten. Als besonders effektiv erweist sich dabei das Ausrufen der Lautfolge „Schuh! Schuh!“ begleitet von ausladendem Armkreisen und weit aufgerissenen Augen.

Nach dem ebenso halsbrecherischen Rückweg sind vier Stunden Naturerlebnis nicht genug für Wandervogel 1, die darauf insistiert, die Narrows zu erkunden, ein Wanderpfad der zur Abwechslung mal durchs Wasser führt; anfangs auch, bald ausschließlich. Das schattige Waten durch den eisklaren Strom erfrischt so sehr, dass die Wandervögel bald nicht mehr ihre Zehen spüren. Getrieben vom Forschergeist fällt auch die Zeit aus dem Fokus. So stehen die beiden schließlich weit später als angepeilt mit tropfnassen und unsäglich dünstendem Fußwerk am Auto, um in der Dämmerung die 200 Kilometer-Reise nach Las Vegas anzutreten. Sin City, here they come.