Supersized. USA 2018: Im Uraltwald

Nach der lebensfeindlichen Wüste des Death Valleys treibt es die Wandervögel in belebtere Gebiete. Zurück in Kalifornien wollen sie ihre alten Freunde, die Mammutbäume, besuchen. Nach einem von Verkehrsrauschen untermalten Weißweingelage auf dem Balkon ihrer an der Autobahn gelegenen Unterkunft in Bakersfield, geht es Tags darauf mit angedicktem Kopf zurück auf die Straße. Einen kurzen Stopp im Supermarkt später – die Käsebagel-Vorräte wollen aufgefüllt sein – geht es in die durch von Asphalt durchtrennte Öde. Keine Vorstellung hatten sich die Wandervögel davon gemacht, wie unbewohnt die Westküste des Landes so ist. Angesichts der dürren Landschaft aber nicht verdenklich.

Just als Wandervogel 2 also in seinem wohlgeformten Schädel die Puzzleteile der Weltformel zusammenfügt, grünt es. Die wüste Öde weicht Bäumen und Wiesen, aus ebener Straße wird ein ansteigender kurviger Aufwärtskampf. Hat sich was mit Weltformel, hallo Wald! Der Sequia-Nationalpark hat seinen Namen von den dort beheimateten gleichnamigen Mammutbäumen. Photosynthesenden Monstren, die schon Schatten spendeten, als Jesus noch Quark im Schaufenster war. Der Star des Parks ist General Sherman, zweitältester lebender Baum der Erde. Angesichts der ihn kontinuierlich bestürmenden schnappschießenden biologischen Fehlentwicklungen allerdings dem sicheren Tod geweiht.

Leicht gibt sich der holzige Gigant allerdings nicht geschlagen. Ein besonders geschmacklos gekleideter Vertreter der Spezies Mensch drängt seine Begleitung dazu, ihn vor dem riesigen Baum zu fotografieren. Während er sich mit seiner ungesunden Körperfülle über mit Verbotsschildern behängte Zäune hieft, lässt Sherman drohend das Astwerk rascheln. Doch das weiß besockte Sandalen-Menschlein marschiert unbeirrt weiter, klettert auf der Suche nach dem perfekten Motiv ungelenk auf Shermans Stamm herum. Der hat mittlerweile die Krone voll und trennt sich kurzerhand von einem armdicken Ast, den er dreißig Meter in die Tiefe rauschen lässt. Verfehlt er doch sein Ziel um einen Meter, ist die Ansage ausreichend für einen denkwürdig dummen Gesichtsausdruck auf dem Urlaubsbild.

Shermans 1850 Jahre alter Bruder ist General Grant gewidmet und hat es geringfügig ruhiger. Wandervogel 2 nutzt das Idyll, um günstige (hier: kostenlose) Souvenirs zu organisieren: Er sammelt kinderkopfgroße Tannenzapfen als weihnachtliche Wohnzimmerdekoration und beschmiert sich dabei unbeabsichtigt wie ausgiebig mit Harz. Der Grund für die vergleichsweise geringe Besucherdichte um Grant erschließt sich Wandervogel 1 indes körperlich. Unbemerkt haben sich während des Spaziergangs dutzende Stechinsekten über die luftig gekleidete Reiseleitung hergemacht und an ihr herumgenuckelt. Bei der abendlichen Inventur ergibt sich die stattliche Zahl von 20 juckenden Stichwunden. So schnell wird dieses Naturerlebnis nicht vergessen sein.

Supersized. USA 2018: Zellstoff im Tal des Todes

Aus viel zu vielen Western weiß Wandervogel 2, dass es im Death Valley nichts zu trinken oder zu tanken gibt. Aufgrund dieses in seinen Augen wichtigsten Beitrags zur Reiseplanung – kann schließlich Leben retten – wiederholt er sein Fachwissen gebetsmühlenartig, bis Wandervogel 1 auf dem Weg aus Las Vegas eine Tankstelle ansteuert. Sie tut so, wäre ihr diese Idee von selbst nicht gekommen, lobt Wandervogel 2 ausdrücklich für sein Mitdenken und versucht so ihren geheimen Plan voranzutreiben, ihn mittels positiver Verstärkung zu mehr eigenständigem Denken zu führen. Ist die Vergangenheit ein Indikator, ein eher aussichtsloses Unterfangen.

Der Highway ist leer, an seinen Seiten eine Landschaft aus Kakteen, die stumm die erbarmungslos brennende Sonne ertragen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Entlang der Straße fordern Schilder fortlaufend dazu auf, einen Highway zu adoptieren. Gegen Zahlung eines Betrages tauscht das Innenministerium die Beschilderung aus, um den Adoptierenden zu ehren. Wandervogel gefällt sich in der Rolle des edlen Gönners und kichert debil beim Gedanken an einen „Werdasliest-Stinktnachkäse-Highway“. Es soll jedoch bei dem Gedankenspiel bleiben. Wie wichtig es ist, die Augen bei der Berufswahl weit auf zu sperren, zeigt das Beispiel eines armen Menschleins, das an einer Kreuzung im Nirgendwo ein Schild schwenkt, das für die Investition in ein Neubaugebiet wirbt. Immerhin eine Tätigkeit an der frischen Luft.

Das Death Valley stellt sich schließlich – zurückhaltend formuliert – als ein vergleichsweise vegetationsarmes Gebiet im gehobenen Temperaturbereich heraus. Ein kurzer Ausstieg am Zabriskie Point führt anschaulich die Wirkmächtigkeit einer Klimaanlage vor Augen. Doch lassen sich die Wandervögel nicht von einem weiteren Stopp in Badwater abbringen, schließlich will man am tiefsten Punkt der USA erleben, wie es sich anfühlt, weit unter dem amerikanischen Durchschnittsniveau zu spazieren. Was für eine tolle Idee, dies während einer Hitzewelle zu tun, bei der die Spucke verdampft, bevor sie auf dem Boden aufschlagen kann.

Tatsächlich erweist es sich jedoch als eine gute Idee, dass die Wandervögel bei einer Trillion Grad im Schatten durch die Ödnis spazieren. Eine italienische Ursel, die sich noch Augenblicke zuvor für ihren fotografierenden Begleiter in aberwitzige Posen warf, versucht sich nun in der Imitation einer sterbenden Schildkröte. Auf dem Rücken liegend und die Arme von sich gestreckt versucht der Fotograf durch Anheben ihrer Beine Bewusstsein in ihren Körper zu bringen. Geistesgegenwärtig schnappt sich Wandervogel 1 ihre Wasserflasche und tränkt das Hitzeopfer wie einen Spatz. Schluck für Schluck flößt sie der Diva wieder Leben ein. „Keine Ursache. Gern geschehen. Das nächste Mal aber vielleicht etwas Wasser mit in die Wüste nehmen und nicht so rumspacken?“ Wandervogel rettet Leben.

Die Ausfahrt aus dem Tal des Todes erweist sich für die Wandervögel und ihr Gefährt als eine Belastungsprobe. Gemäß der Beschilderung verzichten sie auf die Verwendung der Klimaanlage, um den ohnehin ächzenden Reiskocher nicht über Gebühr zu belasten. So schnauft die Asia-Büchse mit Insassen durch die sonnenverbrannte Ödnis. Doch das Leben setzt noch einen drauf und alsbald wird die Straße zu einem mäandernden Band, das sich entlang eines Abgrundes durch leblose Berge zieht.

Ein gellender Schrei lässt Wandervogel 2 aus seiner hitzeinduzierten Beifahrerlethargie auffahren. „Taschentuch!“ bellt Wandervogel 1. Von der Stirn rinnende Schweißtropfen haben Sonnenmilch in ihre Augen gespült, die nun wie Feuer brennen. „Schnell!“, herrscht es vom Fahrersitz, die Hände in das Lenkrad gekrallt und die eigentlich elfengleichen Züge zu einer Grimasse schmerzverzerrt. Der Beifahrer kramt auf der Rückbank. „Aaaargh!“ entfährt es Wandervogel 1. „Ich kann nichts mehr sehen!“ Um weitere Aufmerksamkeit auf ihre Lage zu lenken wiederholt sie: „Aaaargh!“ In leichten Schlangenlinien kommt das unstetig geführte Gefährt immer wieder dem tödlichen Abgrund nah.

„Hab ich!“ eröffnet Wandervogel 2 triumphierend der Höllenqualen leidenden Reiseleitung und schwenkt eine Tempo-Packung über seinem Kopf. Von seinem als weltbewegend empfundenen Verdienst berauscht, klatscht er debil in die Hände. Erst der gellende Ruf: „Taschentuch! Jetzt! Aaaargh!“ von seiner Seite bringt ihn zur gewünschten Handlung. Sich in den eigenen Finger beißend nestelt er ungelenk mit den Zähnen an der Plastikverpackung herum, um der Fahrerin schließlich stolz ein zerfetztes Stück Zellstoff zu reichen. Am tödlichen Abgrund vorbei schrammend stellt die Reiseleitung ihre Sehfähigkeit wieder her. Dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen – so kann es gehen im Tal des Todes.

Supersized. USA 2018: Sin City

Aufgrund des späten Aufbruchs passieren die Wandervögel die Staatsgrenze Nevadas in der Dämmerung und jagen anschließend über den nachtschwarzen Freeway. Kein Mensch, kein Licht, kein Leben, das die müde strahlenden Scheinwerfer zerteilen könnten. Nur Schwarz, Schwarz, Schwarz. Dass sie durch die Wüste düsen, meldet diese durch ungebremste Windböen zurück, die Wandervogel 1 immer wieder aus der Spur werfen. Stärker noch die passierenden Freightliner, deren Slipstream das Auto für Momente durchschüttelt, als versuchte man einen Burnout auf Wackelpudding. Ein Lichtschein über einem Berg deutet schließlich an, dass in der Ferne etwas kommt. Und auf der Spitze verwandelt sich der Schein in ein Lichtermeer. Die Nacht wird Tag, am Horizont eine leuchtende Stadt. So weit das Sichtfeld reicht: Las Vegas, die größte Energieverschwendung der Welt.

Als Revanche für die voreingestellte Frotzeligkeit grüßt die Metropole mit Verstopfung. Die Reisenden stehen im nächtlichen Stau. Ameisengleich eingekeilt zwischen Monstertrucks und Güterverkehr. Immerhin sendet die Herberge in der Ferne bereits erste Signale, „Circus, Circus“ blinkt die himmelhohe Unterkunft. Schließlich angekommen klatschen die Dimensionen die Wandervögel wach. Ein vielstöckiges golfplatzdimensioniertes Parkhaus, weinende Männer und einstundenlanges Schlangestehen für den Check-In. In der Lobby herrschen indische Verhältnisse. Große, kleine, dicke, dünne, ungewaschene, parfümierte, abgewrackte und aufgebretzelte Menschen, die sich in einem fort ihre Gedanken mitteilen. Synapsen am Limit, doch der Eintritt ist erst das Vorspiel.

Nachdem die Wandervögel ihre Habseligkeiten in Zimmer 10819 des West-Towers (ja das Hotel hat noch einen Casino-Tower voller Zimmer. Nein, es geht noch Stockwerke weiter rauf als nur in den zehnten Stock) haben fallen lassen, schleppen sie sich mit letzter Kraft zurück in das Erdgeschoss. Casino gucken. Synapsen platzen. „300 Dollar auf die 22.“, „Noch eine Karte?“ sogar das bescheuerte puste-auf-meine-Hand-mit-den-Würfeln-und-bring-mir-Glück sieht man hier. Ein blendender Aktionismus aus einarmigen, vieltastigen Banditen. Dreiviertelhosen, Dauerwellen, Flipflops, Gehilfen, Speckkragen, Zigarettenqualm und Rülpsgeruch – Casino Royale geht anders, aber so fallen die Wandervögel immerhin gar nicht auf. Ohnehin ist hier jeder mit sich selbst und seinem persönlichen Ruin beschäftigt.

Am nächsten Tag steht der „Strip“ auf dem Programm, die endlose Straße an der sich die „Hotels“ – besser Casinos mit angeschlossenen Vergnügungsparks und Übernachtungsmöglichkeit – erstrecken. Zum wach werden erkunden die Wandervögel zunächst die hoteleigenen Unterhaltungseinrichtungen. Den Indoor-(!)Jahrmarkt mit Autoscooter, Achterbahn und anderen Fahrgeschäften lassen sie links liegen und steuern zielstrebig in die Poollandschaft, in der sie ob ihrer vergleichsweisen Gertenschlankheit deutlich aus der Masse hervorstechen. Die Kinder schreien, die Hot-Pants-Bedienung mit Extensions, künstlichen Wimpern und French Nails stöckelt zwischen den Liegen umher, während stumpfe Chartmusik das Areal beschallt. Seufzend ziehen die Reisenden weiter.

Doch unerwartet erstreckt sich vor ihnen fantastisches Vergnügen Verheißendes. In den Himmel ragt eine Wasserrutsche. Besser drei Wasserrutschen, auf denen man aus 25 Metern in die Tiefe schießt. Furchtlos und mit viel zu viel Schwung schleudert Wandervogel 2 seinen Körper in die Röhre des Todes. Der Höllenschlund nimmt die Opfergabe begierig auf, wirbelt den muskulösen Snack von einer Seite auf die andere, lässt ihn in pechschwarzer Finsternis abheben, um ihn darauf hin wuchtig auf den Boden der Tatsachen zu stoßen und durch alle Körperöffnungen die Nebenhöhlen und was sich sonst an Ohren, Nase und achtlos Geöffnetem anschließt mit gechlortem Hochdruck zu fluten. Nach eine Ewigkeit andauernden Sekunden ist der Spaß vorbei und der Wandervogel fertig mit der Welt. Nochmal! Nochmal!

Ausgehungert geht es an die Erfüllung eines amerikanischen Traums von Wandervogel 1 – Speisen im Diner. In Ermangelung an Alternativen geht es in eine „Denny‘s“-Filiale, immerhin ein Diner-artiges Etablissement. Die Speisekarte lässt das Mark gefrieren, allen Speisen sind Kalorienangaben angestellt, allesamt 1000-Kalorien-Gerichte, was die allgegenwärtige Glockenförmigkeit erklärt. Wider besseren Wissen kämpfen sich die Wandervögel durch zwei Burger. In letzter Konsequenz soll sie das verspätete Frühstück den Tag über begleiten, wie die Wackersteine den Märchenwolf. Eine denkwürdige Mahlzeit.

So schleppen sich die übervollen Touristen den Strip entlang, auf dem ihnen irritierend viele in spärlicher Bademode gekleidete Mädchen und aufgeblasene Jungs in Trägerhemden entgegen torkeln. Quell der Kaputten ist eine Poolparty, die just von der Polizei aufgelöst wird, die einen Amüsierwilligen in Handschellen abführt. In Tangas Stolpernde, einander stützende Besoffene in Shorts – der Strip ist voll wie 1.000 Russen auf Badeurlaub. Den Vogel schießt eine Strandhaubitze ab, die ihren Begleiter anschreit, dass sie – kurz nach dem assistierten Aufstehen aus der Blumenrabatte – nicht geistig behindert sei. Natürlich sehe sie, dass sie in eine befahrene Straßenkreuzung stolpere; schließlich sei sie ja nicht geistig behindert und sehe die ganzen Autos. Die natürliche Selektion bei der Arbeit.

Exemplarisch soll dieser Exkurs für die schwer fassbare Vegas-Erfahrung der Wandervögel stehen. Eine reizüberflutende Metropole voller Besoffener in Unterwäsche. BH-lose Animiermädchen mit verklebten Brustwarzen in Federkostümen und hautkrebsige Schnappsleichen, für die ein als Wochenende geplanter Ausflug einfach nicht zuende gehen will, die Zwei-Liter-Flasche Gin wie einen Rettungsanker in der zittrigen Hand. Hotels wie Kleinstädte, deren Fassaden den Markusplatz einschließlich trällernder Gondolieries miteinschließen oder einer Häuserfront Brooklyns aus den 1930er Jahren nachempfunden sind – einschließlich einer Coney-Island-Replik mit Riesenrad und Achterbahn. Womöglich gewinnt die Bank dann statistischer doch häufiger als die Spieler.

Am Ende des Strips grinst David Copperfield die Wandervögel von einer Plakatwand aus an und die Reisenden folgen seinem hypnotischen Schlafzimmerblick. Unverhofft finden sie sich im MGM Grand Hotel wieder, wo der Exfreund von Claudia Schiffer die Bühne betritt. Das blendende Weiß seiner Zähne, die undurchdringliche Dichte seines dunklen Haupthaares, das bügelfaltenfreie Gesicht – pure Magie vom ersten Moment an. Mit einer ungehörigen Portion an Publikumsverachtung grenzender Lässigkeit lässt der Zauberer UFOs, Autos und Dinosaurier aus dem Nichts erscheinen, quasselt aber auch gefühlte Ewigkeiten mit einer Roboter-Puppe über die Macht der Liebe und wie diese selbst den Tod überwinden kann. Es schmalzt, doch davon bekommt Wandervogel 1 nichts mit, denn ihre Hirnzellen arbeiten konsequent daran, die Tricks zu entzaubern. Ihre Lösung: „Alles aus Plastik und mit LEDs. Das wird ganz schnell aufgeblasen und dann denkt man, es sei echt.“ Mit diesem Wissen ist es nicht mehr weit zur eigenen Show: „The Magical Van der Vogels“. Demnächst in diesem Theater.

Supersized. USA 2018: Alwin und die Killer-Chipmunks

Nach dem Bryce Canyon steht der Zion Nationalpark auf dem erbarmungslosen Programm von Wandervogel 1. Aber wer was sehen will, der muss sich eben ranhalten. Zwischen den beiden Programmpunkten liegen hunderte Freewaykilometer durch steinwüstiges Nirgendwo, denn Utah kann auch Arizona. Einkehr halten die Wandervögel in einem Resort-artigen Motel, dem alle amerikanische Dekadenz und Oberflächlichkeit innewohnt. Die im Zimmer installierte Mikrowelle testen die totmüden wie abgebrannten Reisenden mit Macaroni & Cheese, atomar strahlender und lavaheißer Pampe, die 5-Minuten-Terrine „Nudeln in Rahmsoße“ (80er Edition) vergleichsweise zum Gourmetessen aufsteigen lässt. Doch der Hunger treibt‘s rein und die Glieder sind schwer und überhaupt und sowieso ist es viel zu spät.

Dem Wecker vorgriffig wird Pedro, der lässig in Aufsitzmäher vor dem Wandervogelhäuschen seine Runden dreht. Tatsächlich Runden, denn durch jahrelanges Training und seine Abstammung aus einer Rennfahrer-Dynastie ist er in der Lage, die Höllenmaschine fast auf der Stelle zu wenden. Ihm assistiert Paco, der mit einem benzinbetriebenen Rasenkantentrimmer das letzte Bisschen Schlaf verscheucht. Wen das nicht hochscheucht, um den kümmert sich Julio, der mit einem Laubpuster die von Paco abgetrennten Grashalme zurück auf die von Pablo beackerte Fläche bläst, wo dieser zu guter Letzt alles knatternd zusammenkehrt. Hauptsache, es sieht alles ordentlich aus.

Das Frühstück eröffnet tiefe Einblicke in die amerikanische Volksseele. Die Wandervögel ziehen sich aus Automaten Kaffee und Saft in Einwegbecher, legen sich auf ihre Pappteller das Plastikbesteck, einen vorgeschnittenen Bagel und portionsweise verpackte Marmelade, Erdnussbutter und Streichfett. Mit all den abgepackten Frühstückskomponenten nehmen sie an einem erhöhten Tresen platz, von dem aus sie den Speisesaal überblicken. Was sich ihnen als Live-Unterhaltung bietet, ist eine Neuauflage von „Das große Fressen“. Orchestriert von einem hinter einer Tresenfront stolzierenden Waffelbäcker, der die zuckergeilen Massen mit ihrem Stoff versorgt. Frisch aus dem Eisen werden die Teigwaren ertränkt in Sirup, Schlagsahne und Erdbeeren, bis sich der Inhalt des Papptellers in einen Freifahrtschein (einfache Fahrt) nach Diabetes Mellitus verwandelt.

Einen obszönen Berg Plastikmülls zurücklassend, machen sich die Wandervögel auf in den Zion Nationalpark. Doch vor dem Naturerlebnis kommt das Parkplatz-Inferno, denn sie sind mit ihrem Ansinnen nicht allein. Auf ihrem illegalen Parkplatz werden sie von einer faltigen Parkwächterin im Vorbeifahren passiv-aggressiv angebafft: „Just wanted to let you know, this is NOT a parking area“, bevor sie davonradelt und hoffentlich einer Bärenfamilie zum Beef-Jerky-Snack (dry aged) gereicht. Kurz vor dem Zusammenbruch werden die Wandervögel dann doch noch fündig, parken die Gurke, satteln die Rucksäcke, laschen die Sandalen und machen sich auf in die Berglandschaft.

Auch im Zion-Nationalpark herrscht reger Busverkehr, um die Naturliebenden zu den weit auseinander liegenden Wanderungsausgangspunkten zu kutschieren. Aufgrund der unsäglich nichtssagenden Beschilderung und ein klein wenig auch wegen unzureichender Vorbereitung steigen die Wandervögel ein ums andere Mal an falschen Stationen aus, haben durch die Fahrerei jedoch die Möglichkeit, Warnhinweise in den Bussen zu verinnerlichen. Besonders geschockt ist Wandervogel 1 vom Bild einer zerschundenen Hand. Die Kratzer und eiternden, schlecht vernähten Wunden sollen von dem unbedingt zu vermeidenden Kontakt mit Wildtieren warnen. Was ein Erdhörnchen so alles anrichten kann.

Dünnluft jappsend erreichen die Wandervögel nach Stunden tatsächlich den aussichtsreichen Gipfel Angel‘s Landing. Der ohnehin kräftezehrende Weg wird durch unerwünschte Begleitung kompliziert. Immer wieder nähern sich possierliche Puscheltierchen an, vor denen die bussige Aufklärungskampagne eindringlich warnte. So malt sich die Reiseleitung dann auch umgehend aus, wie die Chipmunks alle Gliedmaßen von Wandervogel 2 abnagen, als seien sie Piranhas auf Landgang, nur um einen stumpfigen Torso im Gebüsch zurückzulassen. Um dieses Schicksal abzuwenden, bedeutet sie den Wildtieren fortlaufend, Abstand zu halten. Als besonders effektiv erweist sich dabei das Ausrufen der Lautfolge „Schuh! Schuh!“ begleitet von ausladendem Armkreisen und weit aufgerissenen Augen.

Nach dem ebenso halsbrecherischen Rückweg sind vier Stunden Naturerlebnis nicht genug für Wandervogel 1, die darauf insistiert, die Narrows zu erkunden, ein Wanderpfad der zur Abwechslung mal durchs Wasser führt; anfangs auch, bald ausschließlich. Das schattige Waten durch den eisklaren Strom erfrischt so sehr, dass die Wandervögel bald nicht mehr ihre Zehen spüren. Getrieben vom Forschergeist fällt auch die Zeit aus dem Fokus. So stehen die beiden schließlich weit später als angepeilt mit tropfnassen und unsäglich dünstendem Fußwerk am Auto, um in der Dämmerung die 200 Kilometer-Reise nach Las Vegas anzutreten. Sin City, here they come.

Supersized. USA 2018: Die Mormone spiel‘n verrückt

Fast unbemerkt haben sich die Wandervögel bei der Fahrt vom Staudamm – nach Kalifornien und Arizona – in ihren dritten Bundesstaat vorgearbeitet. Ein abendliches Utah heißt die Weltenbummlern willkommen mit… endloser menschenleerer Weite. Allerdings vergrünt sich die Landschaft. Wie die Augenbrauen eines Rentners ragen alleinstehende schiefe Bäume aus der Steppe. Das Nachtlager wartet in Kanab, das mit dem eigenwillig-unsinnigen Motto „Das Hollywood Utahs“ bei Besuchenden für einen ausgedehnten Aufenthalt wirbt. Vom Glanz der Tage, als hier und im Umland Episoden mittlerweile vergessener TV-Serien wie von „Have gun, will travel“ gedreht wurden, ist nur die Fassade geblieben. So schlendern die Wandervögel dann durch eine Westernstadt, die auch in Bad Segeberg stehen könnte. Ein Nest wo Bier nach 18 Uhr nur an der Tankstelle erhältlich ist, die Restaurants um 22 Uhr schließen und Mormoninnen in altbackener Keuschheitskluft die Hotelzimmer wienern.

Das Beste, was Kanab zu bieten hat, offenbart sich Wandervogel 2 erst am nächsten Morgen. Neben dem Frühstückssaal steht, zwischen Tischtennisplatte und Brettspielen, ein House-of-the-Dead-2-Automat. Nach einem Moment überbordender an Geilheit grenzender Lust wird Wandervogel 2 jedoch klar, dass exzessives Lightgun-Geballer so gar nicht in den straffen Reiseplan passen will. Auch wenn sich sicher binnen Kurzem eine Menschentraube um ihn gebildet hätte, weil er immer noch aus dem Effeff weiß, woher die Zombies kommen und weil womöglich endlich mal was Lesenswertes im Kanab Enquirer gestanden hätte: „German hero kicks zombie butt“. Mit Foto (mit umgedrehtem Basecap, lässig die rote Lightgun ausblasend). Weit aufgerissene Augen und Münder, Schreie und Jubel nach den Bossfights, Rosen und Schlüpfer – für all das ist keine Zeit, denn Bryce Canyon wartet.

Wie der Grand Bruder zeichnet sich der Bryce Canyon durch die beeindruckende Abwesenheit von Landmasse aus. In vielfarbigen Sedimentschichten verfolgt man, was das Wasser hier im Laufe der Jahrmillionen angestellt hat und stromert an der tödlichen Tiefe entlang. Auch hier können sich die Lauffaulen mit Bussen zu den schönsten Aussichtspunkten des Parks kutschieren lassen, auch hier holen die Wandervögel eine Extrawurst aus dem Tornister und werfen sich wie diese unter die grillenden Strahlen der Mittagssonne. Sie entschließen sich, den Navajo-Loop abzuwandern, vorbei an sehenswerten Steinformationen wie Thors Hammer, nur um nach Kilometern unter sengender Sonne festzustellen, dass es sich was hat mit dem Loop, weil der Rückweg wegen Sanierungsarbeiten geschlossen ist. Der kameraüberwachte Rückweg, dessen Betreten mit ganz viel Strafgeld und Anschreien belegt ist. Hätte man ja auch vorher sagen können.

So geht es dann alternativlos den Queen‘s Trail entlang, der durch Pinienwälder zu einer Felsformation führen soll, die einer eine Torte vor sich hertragenden Queen Victoria ähneln soll. Begleitet werden die mormonische Waldluft in ihre Lungen saugenden Wanderer von einer Busladung „Koriandern“. Sind diese Menschen aus Südkorea außerhalb ihrer Heimat unterwegs, bilden sie kleine Gruppenverbände. Mit großen Abstand voneinander halten sie fortlaufend Kontakt durch gellende keifende Geräusche, wobei die Lautstärke mit der Entfernung der Gruppenmitglieder zueinander ebenfalls zunimmt. Alleinstehend erkennt man männliche Exemplare am geräuschvollen Abhusten und Ausspucken von Phlegma, die Weibchen sind leicht durch überdimensionierte Kopfbekleidung mit darunter liegender Dauerwelle zu identifizieren. In jedem Fall unerträglich, aber immerhin keine Russen. Denn urlaubende Russen sind die Steigerung der Koriander.