Supersized. USA 2018: Monumentale Gurkenscheiben

Als feigenblättrigen Ausgleich für vorenthaltene Frühsücksleistungen haben die Abzock-Indianer den Wandervögeln eine Mini-Kaffeemaschine in das Badezimmer gestellt. Der Apparat demonstriert anschaulich, wie sehr die Ureinwohner noch immer mit Natur einklinken. Um einen Becher Kaffee zuzubereiten muss zunächst der Becher aus einer Plastikfolie befreit werden. Dieser wird mit Wasser gefüllt und in die Maschine gekippt. Anschließend befreit man den Kaffee in der Filtertüte nebst Plastik-Brauschale aus einer Plastikverpackung führt beides in die Maschine ein. Knopf drücken und los geht der Vorgang, bei dem heißes Wasser durch die Filtertüte tropft. Wer möchte, kann eine weitere Plastikverpackung öffnen, in der sich ein Löffel, Weißer und Zucker befinden. Am Ende stehen dann Plörre und ein stattlicher Berg Abfall. Immerhin sortenrein: Alles Plastik.

Nach einigen astreinen Dirty-Dancing-Hebefiguren im Pool zu schief intoniertem „Time of my Life“ verlassen die Wandervögel als letzte Gäste das Reservat und fahren auf den Highway. Hier erwartet sie weite Öde: Die menschenleere rote Staubigkeit von Arizona, bis schließlich am Horizont die markanten Steinformationen des Monument Valley auftauchen. Die Wandervögel fahren rechts ran und mampfen im Angesicht der erodierten Steingebilde Käsebagel, dem Anlass angemessen mit Scheiben von Indianern angebauter und geernteter Gurken – wie Gott in Frankreich eben. Da die Indianer bei Bau der Interstate durch ihr Territorium nicht so gut verhandelt haben, führt die Straße direkt an den Felden vorbei. Kein Grund also, den gelangweilten auf Kundschaft wartenden Navajo Geld für eine exklusive Führung in den Rachen zu werfen. Haken dran, weiter gehts.

Viele Interstate-Meilen später kommen die Wandervögel am nächsten Naturschauspiel an: dem Horseshoe Bend. Hier umfließt der Colorado seit langer, länger, ganz langer Zeit eine Gesteinsformationen und hat so eine hufeisenförmige Form aus dem Stein geschält. In sengender Hitze bestaunen die Wandervögel die Natur, wenngleich eine Busladung unnatürlich exaltierter Italiener das Idyll nachhaltig stört. Ihre Mobiltelefone an Teleskopstielen montiert versuchen sie sich und das Schauspiel bildlich festzuhalten. Das Endergebnis sind Schnappschüsse mit debil grinsenden sonnenbebrillten abgeschnittenen Köpfen und ein zu tiefst genervter Wandervogel 2, der sich den Schrei ausmalt, wenn der Rädelsführer über seinen zufällig geplätteter Fuß in die Tiefe stürzte.

Als letzte Sehenswürdigkeit des Tages hat Wandervogel 1 in ihrem erbarmungslosen Reiseplan den Staudamm im Glen Canyon vorgesehen. Durch eine kolossale Mauer wird der Colorado hier zum Süßwasser-Reservoir Lake Powell aufgestaut, damit die Golfplätze im Nirgendwo auch immer schön grün sind. Im angeschlossenen Erlebnismuseum machen die Wandervögel den Nachhaltigkeitstest. Das sie die Frage „Wie oft ersetzen sie das Wasser in ihrem Pool?“ mit „Wir haben keinen Pool.“. beantworten, schließen sie den Test mit dem Prädikat „vorbildlich nachhaltig“ ab. Es kann so einfach sein, die Erde zu retten. Darauf noch einen Kaffee aus der Indianermaschine.

Supersized. USA 2018: Auf dem Kriegspfad

Nach einem knappen Käsebagelfrühstück schwingen sich die Wandervögel wieder auf die Interstate. Im Rückspiegel Williams vor ihnen die Vorfreude auf das Naturschauspiel Grand Canyon und die Ungewissheit, wie viel Wahrheit den Legenden über die endlos langen Warteschlangen vor dem Eingang innewohnt. Der einöde Weg zur Sehenswürdigkeit führt durch Indianerland. Entlang des Weges ganz viel roter Sand und blaßgrüne Sträucher, vereinzelte Bretterbuden und Wohntrailer, über deren originäre Farbe die Wandervögel nach Jahrzehnten der Winderosion nur noch spekulieren können. Aber wenn die Ureinwohner schon hausen, dann doch zumindest mit der passenden Untermalung. Ein Schild am Wegesrand wirbt für den lokalen Radiosender, der indigene Kracher spielt.

Tatsächlich haben die Wandervögel ausnahmsweise Glück und rutschen mühelos auf den Parkplatz des Nationalparks vor. Um auch den Faulen und Fettleibigen einen Zugang zur drittgrößten Erdspalte der Welt zu ermöglichen, pendeln Busse zum Rande des Erdlochs. Das Fahrpersonal, verflucht mit dem langweiligsten Beruf der Welt, versucht mit gequält witzigen Ansagen und dem mahnenden Klassiker „Bitte weiter durchgehen!“ die Sinnleere zu beseitigen und die Kundschaft zur Weißglut zu bringen. Die Wandervögel fahren bis zur Endstation und treten den Rückweg entlang des Canyons zu Fuß an. Tatsächlich beeindruckt die tief zerklüfteten vielfarbige Landschaft durch die sich der Colorado windet.

Allerdings verliert auch diese Attraktion nach vier Stunden Gewaltmarsch entlang des Abgrunds geringfügig an Reiz. So soll es mit dem Shuttlebus zurück zum Parkplatz gehen, doch aus der entspannten Rückfahrt wird nichts, müssen die Wandervögel ihre Sitzplätze doch für Mitfahrende räumen, die mit ihrer Fettleibigkeit Behindertenstatus erlangt haben. Aus Freude über die Sitzgelegenheit stoßen die Fleischberge mit einer Cola an, die der männliche kolossale Fleischberg unter seiner Fettschürze verborgen hatte. Sich die Beine in den Bauch stehend verfolgen die Wandervögel das gluckernde Spektakel mit Faszination und Ekel.

Da sich auch diesmal die Organisation von Wandervogel 1 als vortrefflich erwies, wird die Reiseleitung abenteuerlustig. Warum Zeit darauf verschwenden teure Herbergen im Voraus zu buchen, wenn man sich auch vor Ort die günstigen Rosinen picken kann? Gewagt, getan, geht es Richtung Monument Valley, das am Folgetag durchfahren werden soll. Der Plan sieht vor, auf dem Weg dann einfach in eines von zahlreichen Motels einzukehren, ein Bier, ein Steak, die Füße hoch oder in den Pool, die Seele baumelnd. Doch als sich die Sonne immer weiter über der menschenleeren Einöde von Arizona senkt und bald der Mond die schroffen Felslandschaften bescheint, erweist sich die Theorie als mausgrau.

Vorstellig in Tuba City (Posaunenhausen – kann sich keiner ausdenken, sowas) erwidert die Navajo-Rezeptionistin auf die Wandervogel-Frage nach dem Vorhandensein eines Zimmers und dessen Kosten, dass tatsächlich noch eines zu haben sei. Ha! Lachen sich die Wandervögel ob des Aufgehens ihres Plans in die Fäustchen. Doch das Lachen verstummt als die Squaw nachschiebt, dass sie dann schon ganz gerne 165 Dollar dafür sähe. Und Steuern. Und Bearbeitungsgebühren. Wortlos verstehen sich die Wandervögel und schreiten langsam rückwärts zum Ausgang der Lobby, um schließlich zum Auto zu stürmen und vom Hof zu rasen.

Da es nicht schlimmer werden kann, preschen sie weiter durch die Nacht; schließlich soll der nächste Ort drei Hotels bieten und ist nur schlappe 125 Kilometer entfernt. In stockdunkler Nacht kommen die beiden in Kayenta an. Geschätzt sieben Achtel der knapp 5.000 indigenen Einwohner lebt in Wohnmobilen oder schläft und vermehrt sich unter freiem Himmel. Das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Ortes ist der Parkplatz vor dem Supermarkt, an den Filialen von McDonalds, Burger King, Subways und Taco Bell grenzen. Auf der Ausfallstraße dahinter die Unterkunft der Wahl, an dessen Fenstern Schilder verkünden, dass man „fully booked“ sei. Seufzer.

Als letzte Optionen bleiben die einander gegenüberliegenden Motels, deren Tresenkräfte sich partout nicht auf einen Glasperlen- und Feuerwasser-Deals einlassen wollen, sondern auf 200 Dollar für eine Übernachtung pochen. Die späte Rache dafür, dass man den Ureinwohnern einst ihr Land abgeluchst hat. Und wer muss es ausbaden? Die Wandervögel. Ihren Ruin vor Augen bäumen sie sich ein letztes Mal auf und Wandervogel 1 fragt nach Frühstück? Ja, gäbe es, sei lecker, koste extra. Aber wenn sich die Wandervögel beeilten, dann dürften sie noch zehn Minuten im Pool schwimmen, bevor der schlösse. Oder sich eben ertränken.

Supersized. USA 2018: On the road

Vor den Wandervögeln liegt ein Fahrtag, denn der Grand Canyon liegt ungleich fußläufig vom Strand entfernt. Um auf der 700-Kilometer-Spritztour nicht zu verhungern, machen die Wandervögel einen Supermarkt ausfindig. Wie anstrengend das Einkaufen doch sein kann, denkt Wandervogel 2 und erinnert sich an die gute alte Zeit, die anbrechenden 1990er, als er halb ausgewachsen in weißem Kittel mit der Etikettiermaschine in der Hand im nördlichsten Magnet-Supermarkt Europas den Waren eindeutige Preise verpasste. Geschichte. Im Ralph-Supermarkt ist Mittdenken gefordert. Der ausgezeichnete Preis gilt nur für Inhaber einer Kundenkarte, unter Umständen nur bei Abnahme eines größeren Gebindes. Gültig für Fremdkäufer ist hingegen der mikroskopisch klein gedruckte Preis, zum dem die nicht näher ausgeführte Steuer addiert wird; gegebenenfalls auf dem gesamten Einkauf noch eine Servicegebühr. „How are you? Bar oder Kreditkarte? Have a nice day!“

Beladen mit Käsebageln und Wasserkanistern versuchen die Wandervögel L.A. zu entkommen. Dem entgegen steht die Verkehrshölle. Blinken gehört sich nicht und überholt wird gerne auch von rechts. Eingereiht in die Blechpolonaise quält man sich auf zwei Spuren je Fahrtrichtung von Ampel zu Ampel auf den Freeway. Trotz vier Spuren tritt hier keine Besserung ein. Hunderte kriechende Fahrzeuge, bestenfalls mit zwei Personen besetzt. Die Reisenden treiben, wie ein Blatt auf einem zähflüssigen Strom aus Chrom, Blech und irrwitzig überdimensionierten Motoren. Nach dem obligatorischen Ausflug in die falsche Richtung schaffen sie es auf die Interstate. Und als die Außenbezirke von L.A. schließlich im Rückspiegel verschwinden und sie den an Ausfahrten campierenden Obdachlosen zuwinken, da klappt es dann auch mit dem Verkehr.

Wenn man sich zuvor keine Gedanken gemacht hat – wie das bei Wandervogel 2 ja häufig der Fall ist – dann überrascht die Wirklichkeit. Endlos zieht sich die Straße durch das Nirgendwo, eine von Bergen einseitig eingefasste entmenschte und enttierte Leere. Einziger Zivilisationsindikator sind die Zäune am Wegesrand, denn auch das Nichts braucht Grenzen. Alle hundert Kilometer – von Meilen und Gallonen halten die Wandervögel nichts – halbiert sich das Verkehrsaufkommen, bis der Wandervogel-Nissan schließlich allein auf der Straße ist. Als einziger Begleiter schleppt sich in der Ferne ein Frachtzug über die Gleise. Im Schlepptau gezählte 82 Container, ein stählerner Bandwurm, der sich durch den Bauch des Landes kämpft.

Das ist also dieses Arizona. Aus Gründen der Gehörtsichkeit setzen die Wandervögel den Blinker und biegen auf die Route 66 ab. Tatsächlich zeigt sich hier schnell, dass der Klischee-Asphalt nach wie vor große Anziehungskraft hat, knattern den Reisenden doch Bärtige, die nebst Soziusperle helmlos auf ihren Harley Davidsons hängen entgegen. Wer schlecht im Kofferpacken ist, der nimmt hier alles mit und steuert den Wandervögeln im dreiachsigen vieltonnigen Wohnmobil entgegen. An der Anhängerkupplung der Pickup im Leerlauf, schließlich will man den Bäckergang nicht zu Fuß antreten. Am Wegesrand stellen findige Scherzkekse Schilder mit knappen Worten auf, die eigentlichen Botschaften erschließen sich erst bei aufmerksamer Lektüre im Gesamtzusammenhang. Im Endergebnis vielleicht wenig zielführend die Aufmerksamkeit Betrunkener auf das Abseits zu lenken um ihnen so mitzuteilen, dass sich Alkoholkonsum und Autofahrt nicht vertragen.

Die Endstation nach mehr als 700 Kilometern ist Williams, ein Möchtegern-Western-Furznest im Nirgendwo. Tatsächlich keine Stadt, sondern zwei Straßen, an denen ein Dutzend Motels für Grand-Canyon-Besucher ankert. Zum Verweilen lädt das örtliche Diner ein, in dem laut Aushang Schusswaffen ausdrücklich willkommen sind. Danke nein, lieber zum Mexikaner. Als die Wandervögel schließlich bei Nachteinbruch einkehren wollen, ist ihr Motel zappenduster. Einem an die Bürotür geklebten Zettel entnehmen sie den Grund für den verhaltenen Empfang: Der Besitzer liegt mit Endstadiumskrebs im Krankenhaus. Daher bitte selbst bedienen und den Schlüssel aus dem Briefkasten fingern. Bei Fragen dürfen sich die Wandervögel an die mexikanische Putzfrau wenden. Gespannt darauf, ob es sich um die Köchin der mexikanischen Gaststätte handelt, sinken sie ins überdimensionierte Bett.

Supersized. USA 2018: Pommes am Strand

Wenn die Wandervögel schon mal einen Tag in L.A. sind, wollen sie diesen bestmöglich nutzen. Es stellt sie jedoch vor die Herausforderung, dass die olle Metropolregion so weitläufig ist, dass ohne Auto nichts zu erreichen ist und die Destinationsoptionen meist Fahrtstunden auseinander liegen. Zum Glück fallen zahlreiche Attraktionen durch das knallharte kombinierte Preis/Leistung/Interessen-Sieb, schließlich schenkt man nicht jedem um Aufmerksamkeit heischenden Schrott seine Lebenszeit. So landen die überteuerten Touristentrecks durch die Filmstudios ebenso auf der Streichliste wie ein Besuch in der wolkenkratzigen Downtown mit der Micky-Maus-Oper, eine Bergtour zum Hollywood-Schriftzug oder eine Bustour zu den Domizilen der Stars, die gut daran verdienen ihre säulengesäumten Leichtbaupaläste tageweise an Pornoproduzenten zu vermieten.

Stattdessen machen die Wandervögel, was sie auch in der Heimat bei jeder sich bietenden Gelegenheit tun: sie werfen Sack und Pack in den Kofferraum und fahren an den Strand. Im Schneckentempo hangelt man sich von Ampel zu Ampel, Einsatzort ambitionierter Kleinstunternehmer, die auf Pappschildern mit kecken Wortspielen versichern, dass sie zwar Pleite („broke“), aber sie deswegen noch lange keine gebrochenen („broken“) Persönlichkeiten seien. Würdevolles Betteln in Beverly Hills, wo sich auf dem Rodeo Drive Maserati-Fahrer darüber ärgern, dass die zahlreichen Hermes-Tüten der Geld verprassenden Ehefrau nicht in das Gefährt passen wollen. Hätte er mal ein Nissan gekauft, da passt was rein, wissen die Wandervögel und brausen zur nächsten Ampel um schließlich nach einer Stunde erfolgreich die 14 Kilometer bis zum Stadtteil Venice zurückgelegt zu haben.

Die Wandervögel parken ihren Mittelklasse-Kreuzer vor dem größten Bio-Supermarkt der Stadt; tatsächlich weht hier in Küstennähe ein anderer Wind. Hier achtet man auf sich und seine Ernährung und lässt sich den pfleglichen Umgang mit dem selbst auch gerne etwas kosten. Für die bei zunehmendem Vollmond angerührte Kugel Bio-Manufaktur-Eis im Recyling-Pappbecher sagt die kunstvoll unrasierte Tresenkraft 4.50 Dollar an. Das ist zumindest für 20 Eishungrige, die eine ordentliche Schlange entlang der Hauswand bilden, annehmbar. Der Weg zum Strand ist gesäumt von allerlei Kunsthandwerks-Kokolores, Wahrsagern, Kraftkristall-Geschäften und Einrichtungshäusern mit Fokus auf skandinavischen Nippes – im Angebot die 50 Dollar Wurzelholzbürste für den dedizierten Anwendungsfall die Biobagel-Krümel aus der Laptop-Tastatur zu putzen.

Lässig an ihre politierten Fahrzeuge gelehnt, posieren die sonnengegerbten Dorfsheriffs an den Strandaufgängen und geben den Ton für das vor, was entlang des vier Kilometer langen Sandmeer gespielt wird: Karneval der Selbstdarstellung. Im Strom der Touristen badet man stöckelnd in nuttigem Unterwäsche Outfit oder mit breitkrempigem Zuhälter-Hut und Zerkauter Zigarre im Wundwinkel. Dutzende minder oder untertalentierte Kleinstkünstler versuchen entlang der Flaniermeile ihre Airbrush- und Acrylwerke zu verkaufen, bieten Reinigungen der Aura oder ganz verzweifelt schlechte Ratschläge zum Preis von einem Dollar an. Immerhin lässt das Aussehen des Anbieters den Rückschluss zu, dass er sein Geschäft versteht. Neben ihm auf der Beton-Bank ein Obdachloser, der Passanten mit vom Schreien heiserer Stimme anbrüllt, sie sollen „out of his fucking way“ gehen.

Stilsicher ordert Wandervogel 1 sich eine Schale Pommes, ertränkt diese um nicht aufzufallen in Ketchup und lässt das geschäftige Treiben auf sich wirken. Auffällig aber eigentlich nicht weiter rätselhaft ist die große Zahl Obdachloser, die sich entweder im Schatten der Palmen durch das Brabbeln von Monologen die Zeit vertreiben oder sich rappelvoll, mit dem Gesicht in den Sand fallen lassen und auf das Versinken der Sonne warten. Doch bis dahin ist es noch lang und so inspizieren die Reisenden die zahlreichen Freiluft-Sportstätten. Blondgelockte Sechsjährige schießen auf ihren Skateboards durch betonierte Bowls, der Oberbekleidung befreite Halbstarke werfen Bälle in hochhängende Körbe und – sehr zur Freude von Wandervogel 1 – knackige Boys stählen am Muscle Beach ihre abdominalen Muskeln.

Unter dem Knattern von Werbebanner durch den Himmel ziehenden Propellermaschinen schleppen sich die Wandervögel mit mittlerweile schweren Füßen bis an den im Norden anschließenden Strand von Santa Monica. Auf einem in den Pazifik ragenden Holzbohlen Pier vertreibt sich das vergnügungssüchtige Volk auf dem Riesenrad und beim Dosenwerfen die Zeit. Weniger unterhaltsam scheint der Besuch für einen Dreijährigen verlaufen zu sein, der in Ermangelung seiner Mutter bei der Ankunft der Wandervögel den Laden zusammenplärrt. Doch bevor die teutonische Spezialeinheit die Ermittlung im Handumdrehen hätte abschließen können, nehmen sich drei von Mutterinstinkten überwältigte einheimische Möchtegern-Ermittlerinnen erfolglos der Sache an. Nach einer Viertelstunde erfolglosen Muttersuchens verlieren die Zaungäste das Interesse an dem Familiendrama und lassen sich lieber vom munter im Wasser herumspaddelnden Seehund unterhalten. Tagesausklang bei Wellen und sinkender Sonne.

Supersized. USA 2018: Enter the La La

Aller Anfang ist Warten. So auch beim jüngsten Abenteuer der Wandervögel, das sie an die Westküste der U.S.A. verschlagen soll. Die Wartezeit auf Abflug vertreiben sich die beiden am Helmut-Schmidt-Flughafen mit dem Studium der sie Umgebenden. RTL2 hat seine Schleusen geöffnet und den Inhalt des Hirnlosenrückhaltebeckens ausgespien. Die vollbärtige Undercut-Saufvereinigung “Schwarze Katze” glüht mit Jim Beam Cola vor und auch die Mädelsabend-Clique, die rein optisch mehr Abend als Mädels sind, dreht mit Piccolo und Dosenprosecco an der Stimmungsschraube. Bevor die um die Krone der guten Laune konkurrierenden Teams starten gibt es noch Stulle. “Ich hab Salami? Wer will Salami?” “Ist das Diät?” “Ich Speck und Käse!” Selten wurde eine große Wahrheit beiläufiger ausgesprochen.

Die sich zu zehrenden 16 Stunden akkumulierenden Flüge beginnen mit einer absurden Ansage. Als Zeichen des Guten Willens solle man doch bitte während der Flüge davon absehen, Gruppen zu bilden. Das könne den Eindruck erwecken, man plane etwas. Daher: Bitte keine Gruppen bilden. Besonders nicht dort wo es besonders verdächtig ist: vor den Klos. So geht Wandervogel 2 dann auch alleine und natürlich kommt es wie kommen muss. Just nach dem Platznehmen, als sich die Hose an die Knöchel schmiegt, ertönt das Bitte-Anschnallen-Signal. Erniedrigender als in einer Flugzeugtoilette kann man Turbulenzen nicht erleben. Immerhin kein Looping.

Die Passkontrolle verläuft wider Erwarten – ungefragt und in bester Absicht hatte das Wandervögel-Umfeld Horror-Geschichten aus zweiter Hand kolportiert – unkompliziert. Doch das dicke Ende kommt, als die Reisenden schließlich mit Sack und Pack das Terminal des L.A. International Airports verlassen wollen. Mit wehender Zunge und gebleckten Zähnen zerrt ein Drogen-Dackel an der Leine seiner Betreuerin, um dies in Richtung der unbedarften Urlauber zu lotsen. Nach gezielter Inspektion stellt sich heraus, dass der Dackel lediglich einen ausgezeichneten Geschmack besaß und der betörende Geruch von 10.000-Kilometer gereisten Pastrami-Käse-Stullen seine Instinkte weckte. So schließt sich der Kreis aus Stullenhäme.

“We’d like to collect our Mietwagen!”, tönt es aus den Kehlen der Wandervögel beim Betreten von Thriftys-Autovermietung. Was in fünf Minuten erledigt sein könnte zieht sich über eine halbe Stunde voller wichtiger Hinweise zu Land und Leuten, dem unvermeidlichen Verweis der Servicekraft auf die Deutschen Wurzeln und das vernuschelte “Dankeschön” und die Versuche den Wandervögeln einen Hummer zu vermieten oder ein SUV oder zumindest doch einen BMW, denn das sei ja urdeutsch und in den U.S.A. sei ein großes Auto ja das Wichtigste überhaupt. Symbol von Status, Garant für Sicherheit und überhaupt und sowieso. Die Wandervögel lehnen dankend ab und pochen auf ihre Nissan Stufenhecklimousine und auch der ambitionierte Versuch den Reisenden die All-Inclusive Premium Spezialversicherung zu verkaufen scheitert. All der Smalltalk vergebens, all die Freundlichkeit verflogen, dann nehmt eben den Reiskocher und eure Basis-Versicherung und dann geht mit Gott aber geht. Machen die Wandervögel. Auf Wiedersehen.

Wie von einer 14-Millionen-Menschen-Metropolregion aus Autoversessenen nicht anders zu erwarten, ist der Straßenverkehr trotz Vierspurigkeit in jeder Richtung strukturell und funktional defekt. Durch die iPhone-Navigation gestützte Beifahrerkompetenz von Wandervogel 2 leidet Wandervogel 1 durch den stockenden Feierabendverkehr von Los Angeles – eine der ungünstigsten Gelegenheiten erstmalig ein Fahrzeug mit automatischem Schaltgetriebe zu führen. Vorbei an Werbe-Billboards, Einkaufszentren und ganz wenig Grün geht es zielstrebig nach Hollywood; wo die Stars und Sternchen wohnen, die Reichen und Schönen und – wie sollte es anders sein – das Motel der Wandervögel auf die Reisenden wartet.

Zum Spottpreis von 100 US-Dollar die Nacht – „Frühstück“ aus Donuts und Keksen inbegriffen, dürfen die Wandervögel ihre Ausrüstung und sich in ein überdimensioniertes Bett plumpsen lassen. Um dem Jetlag entgegenzuwirken entschließen sich die beiden noch zu einem Bummel über anliegenden Walk of Fame. Die Sehenswürdigkeit entpuppt sich als eine vielbefahrene Straße, auf der Proleten, und solche die es werden möchten, ihre aufgebohrten Knatterkisten unüberhörbar spazierenführen. Gesäumt von Geschäften vollen Tand und Menschen in Batman-, Superman- und (ganz neu) Spider-Man-Captain-Amerika-Kostümen auf Touristen lauern, lassen sich zahllose eingelassene Sterne betreten. Wandervogel 2 kann sich mit dem Posieren auf der Ehrenmarke von Michael Jackson einen Lebenstraum erfüllen. Dann geht es weiter vorbei an Klischee-Gangstern die sich „Homie“ und „Crazy Ass Nigger“ ansprechen, stets bedacht nicht über die Obdachlosen zu stolpern, die es sich auf dem Gehweg nach 22 Uhr bequem machen. Welcome to La La Land – the land of opportunity.